
«How to feed the world without starving the planet»
Die Ernährung der Zukunft soll allen Menschen den Zugang zu den nötigen Nährstoffen sichern und gesund für den Planeten sein. Das ist das Ziel. Doch die Entwicklung eines solchen «Menuplans» ist nicht ganz einfach. Im Swiss-Food Talk sprachen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Industrie darüber, wie eine gesunde und umweltfreundliche Ernährung aussehen muss. Klar ist: Nachhaltige Lebensmittel müssen den Menschen schmecken, auf lokale Bedürfnisse abgestimmt und finanziell erschwinglich sein.
Montag, 19. September 2022
Gemäss der UNO wächst die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahren auf rund 10 Milliarden Menschen an. Die Versorgung mit Lebensmitteln von zusätzlich 2 Milliarden Menschen gegenüber heute bedeutet eine riesige globale Herausforderung – auch weil der Klimawandel Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion hat und den Anbau von Kulturpflanzen weltweit verändern und vielerorts erschweren wird. 70 % der Menschen werden zudem in Städten und viele davon in sogenannten Megacities mit über 10 Millionen Einwohnern leben.
Zusammenarbeit Wissenschaft und Industrie entscheidend
Um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden, braucht es gemäss Martijn Sonnevelt vom World Food Systems Center der ETH Zürich eine ganzheitliche Betrachtung der Ernährungssysteme. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie ist dabei elementar. Denn was nützen die ausgefeiltesten Ideen aus der Grundlagenforschung, wenn die Mittel und Kapazitäten für eine grossflächige Umsetzung fehlen? «Hier nimmt das World Food Systems Center eine Brückenfunktion zwischen Wissenschaft und Industrie ein», sagt Sonnevelt. Ein Schwerpunkt in der Forschung an der ETH ist die Suche nach alternativen nachhaltigeren Proteinenquellen. Dabei führt die ETH interdisziplinäre Forschungsprojekte – etwa zur Produktion von Mikroalgen oder Insekten durch. Ein wichtiger Bestandteil der Forschung ist aber auch, die Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten bezüglich neuer Lebensmittel im Auge zu behalten. Neue Lebensmittel können ihre positive Wirkung auf Umwelt und Gesundheit nur dann entfalten, wenn sie von den Menschen akzeptiert werden.
Änderung von Ernährungsgewohnheiten als grösster Hebel
Dass der Erfolg von Lebensmitteln, die sowohl gesund für den Menschen als auch für den Planeten sind, zu einem grossen Teil von den Gewohnheiten und Einstellungen der Konsumenten abhängen, betont auch Sabine Fortmann, Nachhaltigkeitsverantwortliche von Givaudan. «Die Umstellung von bestehenden Ernährungsgewohnheiten stellt den grössten Hebel dar, um sowohl die Gesundheit der Menschen als auch die Nachhaltigkeit zu fördern», sagt sie. Deshalb forscht Givaudan an Alternativen zu Lebensmitteln mit grossem Umweltfussabdruck wie zum Beispiel Fleisch. Hier gilt: Konsumentinnen und Konsumenten zeigen die höchste Akzeptanz für ein Substitut, wenn es geschmacklich möglichst nah ans Original herankommt. Dafür hat Givaudan beispielsweise Lösungen erarbeitet, die nicht nur ein authentisches Geschmackserlebnis vermitteln, sondern auch eine Fettreduktion ermöglichen und dem Produkt die typische Textur und Saftigkeit verleihen. Das Potenzial dafür ist gross. Immer mehr Menschen sind Flexitarier. Die Anzahl Menschen, die täglich Fleisch konsumieren, nimmt ab.
Lokale Relevanz und Erschwinglichkeit nicht vergessen
Petra Klassen Wigger arbeitet als wissenschaftliche Beraterin im Bereich Forschung und Entwicklung Ernährung und Gesundheit bei Nestlé. Auch für sie ist klar: «Good for you and good for the planet» lassen sich bei der Entwicklung neuer Lebensmittel nicht mehr trennen. Doch sie fügt einen entscheidenden Faktor in die Gleichung hinzu: Lebensmittel müssen nicht nur gut für die Gesundheit und den Planeten sein. «Die Menschen müssen sich solche Lebensmittel auch leisten können», sagt sie. Die viel zitierte Planetary Health Diet, die im EAT-Lancet Report vorgeschlagen wird und im Wesentlichen eine pflanzenbasierte Ernährung empfiehlt, können sich gemäss Klassen Wigger drei Milliarden Menschen auf der Welt schlichtweg nicht leisten. Ein weiterer Punkt: Die Entwicklung neuer Lebensmittel muss auch lokale Gegebenheiten und Traditionen der Menschen berücksichtigen. Denn Essen ist auch Kultur. In vielen Ländern Asiens und Afrikas spielen zudem tierische Proteine eine ganz entscheidende Rolle, um die benötigte Nährstoffdichte zu erreichen. Die ganze Welt zu Veganern zu machen, hält Klassen Wigger deshalb nicht für realistisch. Tierische Nahrungsmittel liefern viele Mikronährstoffe und Proteine (sowohl qualitativ als auch quantitativ), dass in vielen Regionen schlecht auf sie verzichtet werden kann. Alternative Fleisch- und Milchprodukte mit verbessertem ökologischem Fussabdruck sind sinnvoll, müssen aber an den jeweiligen lokalen Kontext angepasst werden. Und auch sie betont, dass die Produkte den Menschen letztlich schmecken müssen. Sonst werden sie nicht gekauft.
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