Gefahr ist nicht gleich Risiko: Wie wir Grenzwerte verstehen – und verstehen sollten
In dieser Episode des Podcasts spricht Angela Bearth, Risikoforscherin, über Rückstände und Grenzwerte in Lebensmitteln – ein Thema, das oft emotional diskutiert wird.
Montag, 17. November 2025
In der öffentlichen Debatte stehen meistens die Grenzwerte im Vordergrund – die komplexen Herausforderungen der Landwirtschaft werden dabei aber nicht berücksichtigt. Studien zeigen: Sobald diese Zusammenhänge erklärt und Lösungen thematisiert werden, reagieren Menschen differenzierter.
Dr. Angela Bearth erklärt, dass Grenzwerte wissenschaftlich fundiert, aber nie rein objektiv sind. Sie beruhen auf Forschung, gesellschaftlichen Überlegungen, Machbarkeit und Akzeptanz. Davon unterscheiden sich politische Grenzwerte. «Diese berücksichtigen auch Machbarkeit, Kosten und Kontext», betont Bearth.
Ein zentrales Missverständnis ist die Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko: In der Diskussion rund um Pflanzenschutzmittel werden diese beiden Begriffe oft durcheinander gebracht. Gefährliche Stoffe bedeuten nicht zwingend ein hohes Risiko: Eine Substanz kann potenziell schädlich – also eine Gefahr sein, das Risiko aber zeigt erst, wie wahrscheinlich der Schaden aufgrund der Exposition unter realen Bedingungen ist. Moderne Analytik kann fast alles nachweisen, doch einzig die Messbarkeit eines Stoffes bedeutet nicht automatisch Gefahr.
Zur gesamten Serie Agrarpolitik – der Podcast mit swiss-food
Der Agrarpolitik-Podcast und swiss-food.ch beleuchten in einer gemeinsamen Serie, wie wir in der Schweiz mit Risiken, Messwerten und Wahrnehmungen von Chemikalien umgehen – sachlich, verständlich und praxisnah.
Den krönenden Abschluss bildete der Live-Event im Bogen F in Zürich.
Zu den Folgen:
Folge 1 mit Dr. Angela Bearth (Hier zur Folge)
Folge 2 mit Dr. Lothar Aicher (Hier zur Folge)
Folge 3 mit Dr. Michael Beer (Hier zur Folge)
Folge 4 mit Christine Badertscher (Hier zur Folge)
Vertrauen, Emotionen und Gewohnheit beeinflussen unsere Risikowahrnehmung stark. Neue oder unbekannte Risiken wirken bedrohlicher als vertraute, selbst wenn sie objektiv geringer sind. Wissenschaftliche Unsicherheiten sollten offen kommuniziert werden – ebenso wie toxikologische Grundlagen wie das Prinzip «Die Dosis macht das Gift». So nehmen viele Menschen an, dass ein gefährlicher Stoff schon in kleinster Menge problematisch sein muss – dabei ist die Dosis entscheidend dafür, ob überhaupt eine Wirkung eintritt. Dieser toxikologische Grundsatz wird in der öffentlichen Debatte oft ausgeblendet.
Versachlicht werden kann die Diskussion laut Bearth, indem Transparenz geschaffen, Zielkonflikte offen benannt und toxikologische Grundlagen verständlich erklärt werden.
Die Episode plädiert dafür, Grenzwerte sachlich zu erklären, statt Angst zu schüren: Sie sind mit grossen Sicherheitsmargen versehen und dienen dem Schutz der Bevölkerung. Nur wenn Risiken fair abgewogen werden, kann Wissenschaft glaubwürdig bleiben.
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