Pflanzenzüchtung: Klimawandel erfordert schnelles Handeln
Die Auswirkungen des Klimawandels spüren Schweizer Landwirte bereits heute. In der Vergangenheit waren Neuzüchtungen ein Garant für stabile Ernteerträge. Doch mit der Geschwindigkeit des Klimawandels kann die klassische Züchtung nicht mithalten. Es braucht neue Züchtungsmethoden wie die Genom-Editierung.
Freitag, 11. November 2022
«Ohne Gentechnik verlieren wir Zeit», titelt der «Tages-Anzeiger». Er hat den Pflanzenforscher von Agroscope, Etienne Bucher, zum Nutzen der Genom-Editierung interviewt. Seine Aussagen lassen aufhorchen: Nur mit klassischer Züchtung, so der Forscher, lassen sich die Erträge im Zeitalter des Klimawandels nicht mehr steigern: «Das Klima verändert sich schnell, wir müssen die Pflanzen rasch an den Wandel anpassen. Mit klassischer Züchtung geht das aber zu langsam. Bis wir eine neue Sorte haben, vergehen etwa 15 Jahre. Es ist deswegen auch nicht mehr möglich, mit klassischer Züchtung die Erträge zu steigern.»
Klassische Züchtung alleine reicht nicht
Früher konnte die Landwirtschaft ihre Erträge jährlich pro Fläche konstant um ein Prozent steigern. Für 70 Prozent der Produktivitätssteigerung war gemäss Etienne Bucher die Pflanzenzüchtung verantwortlich. Der Rest sei verbesserten Anbaumethoden zu verdanken. «Dieser Trend ist nun aber wegen des Klimawandels global gestoppt, er ist sogar leicht rückläufig. Zugleich wächst die Weltbevölkerung weiter. Schaffen wir es nicht, in Zukunft auf der gleichen Fläche mehr zu produzieren, haben wir ein Problem», sagt Bucher gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Eine Möglichkeit zur Steigerung der Produktivität liegt gemäss Bucher bei der Genom-Editierung. Mit dieser Methode lassen sich bestimmte Gene im Erbgut präzise ein- oder ausschalten, ohne dabei artfremde DNA in die Pflanze einzusetzen. So können neue und an den Klimawandel angepasste Pflanzensorten viel schneller gezüchtet werden als mit der klassischen Kreuzzüchtung.
Ethikkommission auf Abwegen
Im November 2022 hatte die Ethikkommission des Bundes in einer Stellungnahme den Nutzen neuer Züchtungsmethoden bezweifelt. Dies überrascht den Pflanzenforscher. Bei der Beurteilung des Klimawandels berufe sich die Kommission zurecht auf den Bericht des Weltklimarats. «Geht es aber um neue Zuchtmethoden, tut sie dies nicht. Dabei sagt der Weltklimarat deutlich – und mit ihm die EU-Kommission –, dass neue Zuchtmethoden einen signifikanten Beitrag leisten können, um Ernteerträge zu sichern und zu steigern», so Etienne Bucher. Es existieren zudem schon diverse Pflanzen, die den Nutzen der neuen Züchtungsmethoden unter Beweis stellen. So seien etwa Reis-, Mais-, Kartoffel- oder Sojasorten gezüchtet worden, die resistenter gegen Hitze, Trockenheit oder Salz sind. «Dank neuer Zuchtmethoden ist es auch gelungen, Pflanzen gegenüber Krankheiten resistenter zu machen und so den Pestizidbedarf zu senken», so Bucher weiter.
«Klimakrise verlangt schnelle Reaktion»
Sowohl in der Schweiz als auch in der EU ist der kommerzielle Anbau von genomeditierten Pflanzen verboten. Andere Länder wie etwa die USA, Grossbritannien oder China sind weiter. «Die Schweiz und Europa werden so immer mehr abgehängt», sagt Bucher. Zur Kritik, es mangle noch an Wissen zu möglichen Auswirkungen auf die Umwelt, sagt der Agroscope-Forscher: «Mit den neuen Zuchtmethoden weiss die Forschung sehr genau, was sie in der Pflanze verändert. Das Wissen ist viel grösser als bei den herkömmlichen Verfahren, also wenn man zwei Pflanzen miteinander kreuzt.» Das Wissen sei auch grösser als bei der in der Schweiz und der EU zugelassenen Mutagenese, wo Erbgutveränderungen bei Pflanzen – etwa durch radioaktive Bestrahlung oder Chemikalien – hervorgerufen werden. Und diese Methoden fallen im Gegensatz zur Genom-Editierung nicht unter das Gentechmoratorium. Für Bucher ist deshalb klar: «Die neuen Methoden sollten eine Chance erhalten (…) Bleibt aber alles beim Alten, verlieren wir Zeit – Zeit, die wir nicht haben. Die Klimakrise verlangt eine rasche Reaktion, auch in der Landwirtschaft.»
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