Keine Schweinerei: Warum hodenlose Eber ein klares Plus fürs Tierwohl sind
Neue Züchtungsmethoden eröffnen neue Möglichkeiten in der Pflanzen- und Tierzucht. Sie erlauben gezielte Veränderungen im Erbgut, die auch Tiere widerstandsfähiger, anpassungsfähiger und gesünder machen können.
Dienstag, 4. November 2025
Niemand möchte Schweinekoteletts mit Ebergeruch essen. Deshalb werden heute die männlichen Ferkel kurz nach der Geburt kastriert. In der Schweiz betrifft das Hunderttausende Tiere jedes Jahr. Das Prozedere ist aus Sicht des Tierwohls alles andere als optimal. Die Kastration ist für die Tiere schmerzhaft. Für die Schweinezüchter sind sie kostspielig.
Es erstaunt daher nicht, dass man von der Branche aus nach Alternativen sucht. Eine davon ist ein Eingriff in das Erbgut der Tiere. In Deutschland ist es Forschern unlängst gelungen, Schweine zu züchten, bei denen die Eber keine männlichen Geschlechtsorgane entwickeln, wie die NZZ am Sonntag berichtet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Den Ferkeln wird die schmerzhafte Entfernung der Hoden erspart, da sie ja ohnehin ohne Hoden existieren.
Bedeutet dies nun, dass solche Eber auch in den Schweizer Ställen stehen? Natürlich nicht: Denn in der Schweiz sind Pflanzen und Tiere, die mittels Gentechnik gezüchtet wurden, verboten. Das Gentechnik-Moratorium gilt bis heute auch für die sogenannten neuen Züchtungsmethoden, wie beispielsweise CRISPR-Cas, die auch bei der Züchtung der hodenlosen Eber zum Einsatz kamen. Aktuell ist Bundesbern damit beschäftigt, einem Parlamentsauftrag gerecht zu werden, der verlangt, dass bei der Pflanzenzucht die neue genomischen Methoden zugelassen werden.
Der aktuelle Vorschlag des Bundesrates taugt allerdings nicht, da dessen Einzelheiten so restriktiv ausgestaltet sind, dass niemand in die Zucht und den Anbau solcher Sorten investieren würde. Viele Vernehmlassungsantworten wiesen auf genau diese wunden Punkte hin, sodass man jetzt gespannt sein kann, ob und wie der Bundesrat die Vorlage anpassen wird. Schon heute ist klar: Über die Pflanzenzucht hinaus wird man nicht gehen. Hodenlose Eber sind also noch immer Zukunftsmusik.
Von der Gentechnikgegner-Seite scheint klar: Wehret den Anfängen – zuerst die Pflanzen, dann die Nutztiere. Was die grundsätzliche Frage aufwirft: Wäre das denn so schlimm? So könnten gezielten Eingriffe dazu beitragen, das Tierleid zu verringern – etwa indem Tiere resistenter gegen Krankheiten werden oder schmerzhafte Eingriffe wie das Enthornen oder Kastrieren überflüssig werden. Zum anderen liesse sich die Haltung an den Klimawandel anpassen, etwa durch Rinder, die dank spezieller Genetik besser mit Hitze zurechtkommen und weniger Stress erleiden oder die weniger Methan ausstossen.
Von der Schmerzvermeidung zum Artenschutz
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Haltung der International Union for Conservation of Nature (IUCN). Die IUCN, die weltweite wichtigste Naturschutzorganisation mit über 1400 Mitgliedern aus über 160 Ländern, deren Richtlinien oft als Basis für Naturschutz dienen, sprach sich unlängst gegen ein pauschales Verbot von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) im Naturschutz aus. Stattdessen befürworten sie eine wissenschaftlich fundierte, risikobasierte Bewertung. Somit haben Projekte ihren Support, die z.B. aussterbende Tierarten mit Hilfe von Biotechnologie oder eben gentechnischen Verfahren retten wollen.
Zuletzt sei auch der Hinweis erlaubt, dass in der Humanmedizin schon heute die neuen gentechnischen Verfahren zum Einsatz kommen. So zum Beispiel bei der Behandlung schwerer Erbkrankheiten wie Sichelzellanämie oder Beta-Thalassämie: Hier ermöglichen genomische Verfahren erstmals heilende Therapien, bei denen fehlerhafte Gene gezielt korrigiert werden. Die behandelten Patientinnen und Patienten berichten von deutlich verbessertem Gesundheitszustand und Wohlbefinden über alle Altersgruppen hinweg – ein eindrucksvoller Beleg dafür, welches Potenzial diese Technologien gerade auch in der Humanmedizin entfalten könnten.
All die Beispiele aus der Pflanzenzucht, der Nutztierzucht und auch aus der Humanmedizin zeigen: Technologien, die helfen Zielkonflikte aufzulösen und echte Verbesserungen bringen, werden sich durchsetzen, weil es Sinn macht, sie anzuwenden. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat dies bei der anstehenden Gesetzesvorlage zu den neuen Pflanzenzüchtungstechnologien entsprechend berücksichtigen wird.
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