«Streichkonzert» bei Pflanzenschutzmitteln

«Streichkonzert» bei Pflanzenschutzmitteln

In der Schweiz verlieren immer mehr Pflanzenschutzmittel die Zulassung der Behörden. Gleichzeitig gelangen kaum neue Mittel auf den Markt. Die Zulassungsbehörden sind massiv überfordert. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das Risiko für Resistenzbildungen und Ernteausfälle steigt mit jedem Produkt, das vom Markt verschwindet.

Donnerstag, 23. Februar 2023

Unter dem Titel «Das Streichkonzert wird Folgen haben» berichtet der «Schweizer Bauer», dass immer mehr Pflanzenschutzmittel nur noch mit Sonderbewilligungen eingesetzt werden dürfen, während gleichzeitig der Zulassungsstau bei neuen Pflanzenschutzmitteln anhält Das Problem spitzt sich immer mehr zu: Bewährte Mittel werden gestrichen oder dürfen nur noch mit Ausnahmegenehmigung eingesetzt werden, während sich neue Produkte teilweise seit Jahren in der Warteschlaufe der Behörden befinden. Manchmal ist die Gefahr von Ernteausfällen so gross, dass Husch-husch-Notfallzulassungen erteilt werden müssen. Doch das ist keine Lösung. Für Landwirte wird die zur Verfügung stehende Wirkstoffpalette immer dünner. In diesem Jahr ist die Lage besonders dramatisch. Wie der «Schweizer Bauer» schreibt, gibt es in diesem Jahr im Feldbau keinen einzigen neuen Wirkstoff. Es werden lediglich neue Verkaufsbewilligungen für bereits bestehende Produkte ausgesprochen.


Langsamer Zulassungsprozess

Der viel zu langsame Zulassungsprozess gibt schon seit Jahren zu reden. Dafür verantwortlich sind einerseits die zu geringen personellen Ressourcen beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Andererseits macht das Einsichts- und Mitspracherecht von Umweltschutzorganisationen die Zulassungsprozesse viel komplexer und aufwendiger. Das bestätigt auch Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), an einem Treffen der IG BauernUnternehmen: Der ganze Prozess sei dadurch «viel, viel aufwendiger geworden». Das wirkt sich auch auf die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln aus.


Zulassungsdossiers verstauben

So wartet Bayer beispielsweise seit acht Jahren auf die Zulassung des Getreidefungizids Ascra Xpro. Die Kommunikationschefin von Bayer Schweiz, Nicole Borel, sagt: «Das Dossier für das Getreidefungizid Ascra Xpro wurde im Januar 2015 beim BLW angemeldet. Das Fungizid ist auch heute noch nicht bewilligt.» Besonders stossend daran: Das Mittel ist in den allermeisten EU-Staaten zugelassen. Insgesamt hat Bayer hängige Gesuche für sechs neue Wirkstoffe sowie 25 Produkte und unzählige Erweiterungsgesuche. Die Hälfte davon sind älter als drei Jahre. Ähnlich sieht es auch bei der Firma BASF aus. Laut Mediensprecher Franz Kuntz hat BASF derzeit 21 Produkte im Zulassungsprozess, wovon 14 einen neuen Wirkstoff enthalten. Zudem sind 17 Erweiterungsgesuche pendent. Über die Hälfte der Gesuche liegen seit mehr als vier Jahren bei den Behörden. Bei Syngenta sind 37 Produkte und 39 Erweiterungsanträge hängig. Von den 37 Neuanträgen sind 26 vor 2020 eingereicht worden. Es sind vier neue Wirkstoffe dabei.


Auch Pflanzenschutzmittel für den Biolandbau betroffen

Mit «Taegro» steckt ein auch für den Biolandbau zur Zulassung beantragtes Fungizid in der Warteschleife. Es kommt vor allem im Wein- und Gemüsebau zum Einsatz. NGO haben Parteistellung beantragt. Dieses Fungizid ist überall in der EU schon zugelassen. Auch das Saatgut-Beizmittel «Force 20 CS» für Mais steckt im Bewilligungsprozess fest. Es wäre ein Ersatz für ein weggefallenes Produkt mit einer Teilwirkung gegen Drahtwürmer. Nachdem Neonicotinoide verboten wurden, existiert kein wirksames Produkt gegen Drahtwürmer mehr. Drahtwürmer verursachen grosse Schäden beim Mais. Ursprünglich hatte das BLW Syngenta im Jahr 2020 die Bewilligung für das Mittel erteilt. Doch Greenpeace machte von seinem Verbandsbeschwerderecht Gebrauch und klagte gegen die Zulassung. Syngenta wartet immer noch auf den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts.


Kampf gegen Resistenzen zentral

Das schleppende Zulassungsverfahren wird Auswirkungen auf die Bildung von Resistenzen und damit auch auf die Erträge haben. Als Faustregel gilt: Pro Kulturpflanze und Krankheit müssen mindestens drei verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung stehen, mit denen die Pflanzen abwechslungsweise behandelt werden können. Steht nur noch ein einziges Mittel zur Verfügung, entwickeln Pflanzenpathogene Resistenzen. Das heisst, sie werden immun gegen den Wirkstoff und können nicht mehr wirksam bekämpft werden. Man kennt dies auch aus der Humanmedizin, zum Beispiel die Antibiotikaresistenz. Die Folge dieser fehlenden Abwechslung in der Landwirtschaft: Ernteausfälle und Importe nehmen zu. Wenn sich die Produktion von Lebensmitteln nicht schleichend ins Ausland verlagern soll, braucht es einen funktionierenden Zulassungsprozess für Pflanzenschutzmittel.

Sources

Schweizer Bauer, 11. Februar (Printausgabe)

Schweizer Bauer, 18. Februar (Printausgabe)

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