
Der ideologische Missbrauch «wissenschaftlicher» Studien
Wissenschaft dient als Grundlage für politische Entscheidungen, auch im Naturschutz. Eine zentrale Frage ist jedoch: Wie vertrauenswürdig sind die zugrundeliegenden Studien und Daten? Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag» und die Erläuterungen von «Quarks» bieten aufschlussreiche Perspektiven über die Qualität von wissenschaftlichen Studien und den möglichen Missbrauch von Zahlen.
Donnerstag, 31. Oktober 2024
Im Naturschutz sind Zahlen wie «150 Arten sterben täglich aus» oder «80 Prozent der Biodiversität liegt in den Gebieten von Indigenen» weit verbreitet, schreibt die «NZZ am Sonntag» kürzlich in einer Analyse und stellt fest: Solche Aussagen erscheinen in UNO-Berichten, auf Protestbannern und in wissenschaftlichen Artikeln, oft sind sie irreführend, manchmal sind sie falsch. Die Quellen der Zahlen sind oft fragwürdig, wie der Biologe Álvaro Fernández-Llamazares feststellt. In seinem Bericht in der Fachzeitschrift «Nature» deckt er auf, dass die 80-Prozent-Zahl über indigene Gebiete keine wissenschaftliche Grundlage hat. Es gibt keine belastbaren Daten, um die Aussage zu belegen.
Diese Problematik zieht sich durch den gesamten Bereich der Biodiversitätsforschung. Statistiken sind oft unzuverlässig, da die Biologie eine «schmutzige Wissenschaft» sei, wie Matthias Glaubrecht vom Leibniz-Institut es gemäss NZZ am Sonntag ausdrückt. Zahlen, die häufig zur Argumentation herangezogen werden, basieren oft auf unvollständigen Datensätzen oder fehlerhaften Annahmen. Oft bleiben viele Fragezeichen.
Was macht eine gute wissenschaftliche Studie aus?
Laut Quarks lassen sich gute Studien anhand klarer Kriterien bewerten. Zunächst muss die Fragestellung präzise formuliert sein. Eine gute Studie basiert zudem auf soliden Methoden und einer ausreichenden Datenmenge. Oft werden Ergebnisse von Studien mit weniger als 20 Teilnehmern oder Proben auf die gesamte Welt übertragen. Doch hier liegt oft das Problem, insbesondere in der Biodiversitätsforschung, wo umfassende und präzise Datensätze selten sind. Viele Studien leiden an methodischen Schwächen, unzureichender Replizierbarkeit und selektiver Dateninterpretation.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Unabhängigkeit der Forschung. Quarks erwähnt Marktforschungsinstitute und Unternehmen, die kommerzielle Interessen mit einer Studie verfolgen. In einem ideologisch aufgeladenen Feld wie dem Naturschutz besteht auch von anderer Seite die Gefahr, dass Wissenschaft instrumentalisiert wird, um politische oder ideologische Ziele zu stützen. Dies zeigt sich etwa daran, dass Fernández-Llamazares und seine Kollegen wegen ihrer Kritik an der 80-Prozent-Zahl als «unethisch» bezeichnet wurden. Hier tritt deutlich zutage, dass eine wissenschaftliche Debatte oft nicht unabhängig von politischen Interessen verläuft.
Der Living Planet Index: Ein Beispiel für methodische Probleme
Ein weiteres Beispiel ist der Living Planet Index (LPI), der den Rückgang der Wirbeltierpopulationen misst. Seit 1970 soll sich die Zahl dieser Populationen um 73 Prozent verringert haben. Der WWF setzt den Index seit Jahren in seiner Kommunikation ein, und vermittelt damit ein Drohszenario. Doch die Zahlen sind irreführend, wie die Biologin Anna Toszögyova und ihre Kollegen zeigen konnten. Ihre alternative Berechnung führte zu deutlich moderateren Ergebnissen. Der Rückgang der Artenvielfalt war weniger drastisch als im LPI angegeben, was auf methodische Fehler bei der Datenerhebung zurückzuführen sei. Nicht jede Studie, die als «wissenschaftlich» deklariert wird, ist es auch wirklich.
Der ideologische Missbrauch von Zahlen im Naturschutz
Zahlen haben eine starke Überzeugungskraft, besonders in politischen Debatten. Doch wenn sie nicht auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen basieren, schaden sie mehr als dass sie nützen. Im Bereich des Naturschutzes werden häufig Zahlen verwendet, die emotional und politisch aufgeladen sind, jedoch wissenschaftlich nicht immer haltbar. Etwa die eingängige Formel «30 Prozent Schutzgebiete bis 2030» ist politisch geschickt gewählt, aber solche Zahlen und Ziele sind selten empirisch fundiert.
Angesichts des Missbrauchs von Studien ist es umso wichtiger, die Wissenschaftlichkeit bei der Forschung zu bewahren. Eine gute wissenschaftliche Studie ist nachvollziehbar, methodisch solide und transparent in ihren Ergebnissen. Doch gerade im Naturschutz zeigt sich, dass Zahlen oft vorschnell verwendet und selten kritisch hinterfragt werden. Der ideologische Missbrauch der Wissenschaft, besonders in politisch sensiblen Bereichen, bleibt eine Herausforderung, die durch eine verstärkte wissenschaftliche Integrität und offene Debatte angegangen werden muss.
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