Wissenschaftler mahnen zur Vernunft

Wissenschaftler mahnen zur Vernunft

Am zweiten swiss-food-Talk nahmen drei international anerkannte Experten aus den Bereichen Toxikologie, Gewässerschutz und Lebensmittelsicherheit teil. Diskutiert wurde der Umgang mit Grenzwerten und die teilweise falsche Interpretation im öffentlichen Diskurs. Die Wissenschaftler plädieren für mehr Sachlichkeit.

Montag, 31. August 2020

«Wir müssen zwischen gesundheitsbezogenen Grenzwerten und politisch festgesetzten Grenzwerten unterscheiden. Das wird immer wieder vermischt», sagt Rex FitzGerald, Regulatorischer Toxikologe beim Swiss Centre for Applied Human Toxicology (SCAHT) in Basel. Gesundheitsbezogene Grenzwerte legen die Dosis fest, die trotz lebenslangem und täglichem Konsum keine schädliche Wirkung hat. Daneben gibt es gesetzliche Grenzwerte, die nichts mit dem Gesundheitsrisiko zu tun haben.

Referat von Dr. Rex FitzGerald, Regulatorischer Toxikologie beim SCAHT.

Der für das Trinkwasser festgelegte Wert von 0,1 Mikrogramm pro Liter basiert nicht auf einer Risikobewertung, sondern bringt den politischen Willen zum Ausdruck, aus Vorsorgegründen keine Rückstände zu haben. Zur Bewertung des Gesundheitsrisikos ist dieser Wert nicht geeignet. «Wenn wir wegen Überschreitungen von 0,1 Mikrogramm pro Liter von toxischem Wasser sprechen, ist das grundfalsch, so der Toxikologe, der im Auftrag der Behörden Risikobewertungen vornimmt. Ratlos macht ihn, warum dies in den Medien dennoch immer wieder so berichtet wird.


Auf gutem Weg

Wie tief der Grenzwert für Pflanzenschutzmittel im Wasser festgelegt ist, erklärte beispielhaft Dr. Manfred Röttele, Projektleiter der europäischen Gewässerschutz-Initiative TOPPS. «Um ein Gramm eines Wirkstoffs auf den bestehenden Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter zu verdünnen, braucht es einen Bach von einem Meter Breite, 30 Zentimetern Tiefe und 33 Kilometern Länge.» Selbstverständlich gilt es grundsätzlich, unerwünschte Einträge im Grundwasser wenn immer möglich zu vermeiden. Eine gute Agrarpraxis ist essenziell. TOPPS unterstützt die Anwender und bietet das entsprechende Know-how. So lassen sich Pflanzenschutzeinträge ins Grundwasser signifikant vermindern. «Die Richtung stimmt. Die Belastung des Grundwassers durch Pflanzenschutzmittel nimmt ab», hält Röttele fest.

Referat von Dr. Manfred Röttele, Projektleiter TOPPS.

Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Gefahr

Eine Einordnung, warum die Öffentlichkeit oft bei den geringsten Rückständen bereits Gefahr wittert, wagt Jo Riehle, Lebensmittelchemiker und Pestizidexperte aus Hamburg. Die aufgeheizte Debatte hat seiner Ansicht nach mit dem sogenannten Unsicherheitsvermeidungsindex zu tun. Dieser sei in Deutschland – aber vermutlich auch in der Schweiz – sehr hoch. Die Angst vor dem Unbekannten führe dabei zur Etablierung von starren Regeln, Vorschriften und Gesetzen.

Referat von Jo Riehle, Lebensmittelchemiker, Buchautor und Pestizidexperte.

Ein Treiber der Diskussion sei aber auch die um ein Vielfaches verbesserte Analytik. «Wir finden heute alles, wenn wir denn danach suchen», meint Riehle. «Dass früher weniger verschiedene Wirkstoffe gefunden wurden, hat zudem mit dem Resistenzenmanagement zu tun. Es gibt heute weniger «one-fits-all»-Produkte. Die heutigen Pflanzenschutzmittel wirken viel spezifischer.» Aus ökologischer Sicht sei dies zwar sinnvoll. Gleichzeitig werden dadurch aber eine grössere Anzahl verschiedener Stoffe gefunden. Dies wiederum würde von der Öffentlichkeit als «gefährlich» wahrgenommen, so Riehle. Hinzu kommt die Angst von «Mehrfachrückständen». «Die blosse Nachweisbarkeit verschiedener Stoffe bedeutet aber noch lange kein höheres Gesundheitsrisiko», sagt der Pestizidexperte.

Die Thematik ist komplex. Die Referenten wünschen sich eine sachlichere Auseinandersetzung und mahnen zur Vernunft. Genau dies ist auch der Anspruch von swiss-food.ch.

Ähnliche Artikel

Ohne Biozide leiden Tierwohl und Lebensmittelsicherheit

Ohne Biozide leiden Tierwohl und Lebensmittelsicherheit

Am Swiss-Food Talk unterstrichen drei Experten die Bedeutung von Bioziden für die Landwirtschaft und die Lebensmittelverarbeitung. Ihr Fazit: Ohne Biozide könnten die Lebensmittelsicherheit und das Tierwohl nicht gewährleistet werden.

Neue Züchtungsmethoden – gekommen, um zu bleiben
Neue Züchtungstechnologien Wissen

Neue Züchtungsmethoden – gekommen, um zu bleiben

Das Schweizer Parlament hat eine Aktualisierung des seit 2005 bestehenden Gentech-Moratoriums beschlossen. Der Schritt war überfällig. Anlässlich eines von swiss-food.ch organisierten Talks sprachen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Landwirtschaft über den Nutzen neuer biotechnologischer Züchtungsmethoden. Dabei wurde klar: die Risiken sind gering, die Chancen gross.

Es geht nicht ohne gesunde, qualitativ hochstehende Lebensmittel aus der Schweiz

Es geht nicht ohne gesunde, qualitativ hochstehende Lebensmittel aus der Schweiz

Am Swiss-Food Talk gaben drei anerkannte Fachfrauen Antworten auf aktuelle Fragen im Zusammenhang mit einer gesunden, nachhaltigen Ernährung. Und richteten einen Appell an den gesunden Menschenverstand.

Herausforderungen und Chancen einer nachhaltigen Landwirtschaft

Herausforderungen und Chancen einer nachhaltigen Landwirtschaft

Die Landwirtschaft von morgen muss effizienter produzieren. Und dabei gleichzeitig das Klima und die Biodiversität schützen. Am Swiss-Food Talk äusserten sich drei ausgewiesene, unabhängige Experten zu den Herausforderungen und Chancen einer nachhaltigen Landwirtschaft von morgen.

Die Jagd nach Fehlinformationen fühlt sich an wie das Hüten von Katzen
Wissen

Die Jagd nach Fehlinformationen fühlt sich an wie das Hüten von Katzen

Science-Fiction hat die Angewohnheit, sich als wissenschaftliche Tatsache zu tarnen – bis jemand wie ich mit einem Eimer voller harter Fakten daherkommt. Aber seien wir ehrlich: Unsinn zu entlarven ist exponentiell aufwendiger als ihn zu produzieren. Jonathan Swift wusste das bereits 1710, und hier stehe ich nun, Jahrhunderte später, und sage immer noch meine Meinung, bevor das nächste virale Feuerwerk an Fehlinformationen losgeht.

Klimaschutz darf Ernährungssicherheit nicht gefährden
Wissen

Klimaschutz darf Ernährungssicherheit nicht gefährden

Die Landwirtschaft steht zunehmend unter Druck, klimaneutral zu wirtschaften. Doch wie kann dies gelingen, ohne die Ernährungssicherheit zu gefährden? Im Agrarpolitik-Podcast betont Hannah von Ballmoos-Hofer, Leiterin des Geschäftsbereichs Energie beim Schweizer Bauernverband, dass Klimaschutz wichtig ist, aber nicht auf Kosten der Ernährungssicherheit gehen darf.

Tradition und Innovation gehen beim Essen Hand in Hand
Wissen

Tradition und Innovation gehen beim Essen Hand in Hand

Die Studie «Decoding Food Culture» des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt, wie tief Esskultur unser Leben prägt. Deshalb gleicht es einem Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, um Veränderungen in der Ernährung zu bewirken.

Die unterschätzte Gefahr pflanzlicher Toxine
Wissen

Die unterschätzte Gefahr pflanzlicher Toxine

Pflanzen produzieren eine Vielzahl chemischer Stoffe, um sich beispielsweise gegen Fressfeinde und Krankheiten zu schützen. Diese Substanzen können in hohen Dosen toxisch wirken. Eine aktuelle Untersuchung von Agroscope beleuchtet die Gefahr natürlicher Stoffe in Schweizer Gewässern.

Weitere Beiträge aus Wissen