
Der Regen, die Reben und die Räuber
2021 war für viele Winzer ein Jahr zum Vergessen. Ohne Pflanzenschutz dürfte es für die Produktion von Wein in der Schweiz schwierig werden.
Dienstag, 2. November 2021
Vielerorts ist die diesjährige «Wümmet» abgeschlossen, die Weintrauben sind zur Weiterverarbeitung in die Weinkeller gekarrt worden. Für viele Winzer dürfte die Ernte ein kümmerlicher Anblick sein. Markus Leumann von der Fachstelle Rebbau der Kantone Zürich, Schaffhausen und Thurgau meint denn auch in der «NZZ»: «Wir gehen von der kleinsten Erne der letzten 20 Jahre aus.» Verantwortlich sei die Witterung. In der Hauptvegetationszeit hätte es zu viel geregnet, zuweilen gar gehagelt. Der Falsche Mehltau hätte sich rasend ausgebreitet.
Doch offensichtlich war es nicht nur das Wetter, das den Reben zugesetzt
hat. So habe auch die Politik ihren Anteil. Die Pestizidinitiativen vom Juni
hätten die Art und Weise beeinflusst, wie die Winzer ihre Rebberge pflegten. So
sei man in diesem Jahr zögerlicher gewesen mit dem Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln. Leider hätten die Winzer den ersten wichtigen
Spritztermin zur Blüte zu spät gesetzt, sagt Leumann in der «NZZ»: «Das erwies
sich rückblickend als Fehler, der manch einen Betrieb teuer zu stehen kam.»
Bio hatte keine Chance
Doch nicht nur im Züribiet und der Ostschweiz hat das Wetter den Winzern zugesetzt. Auch im Wallis, der grössten Weinbauregion der Schweiz, fallen die Ernten schlecht aus. Vor allem das Gebiet am rechten Rhoneufer hat es arg erwischt. Der kalte Frühling samt Frost habe einen grossen Teil der im Wallis heimischen Varietäten Cornalin und Petite Arvine zerstört. Die ausgedehnten Niederschläge von Mitte Juni bis Mitte Juli hätten den eh schon bedrängten Kulturen weiter zugesetzt. Die grosse Nässe schuf ideale Bedingung für den Falschen Mehltau.
Viele Weinbauern, die eigentlich biologisch produzieren, mussten zur Rettung ihrer Reben wieder auf den herkömmlichen Anbau umstellen. «Wer biologisch angebaut hat, hat dieses Jahr fast die ganze Ernte verloren», sagt Dominique Passaquay, Präsident der Vereinigung der Walliser Winzer und Kellermeister. Offenbar war die Verzweiflung gewisser Winzer ob ihrer Ernteausfälle so gross, dass sie auf die Trauben der Nachbarwinzer zurückgriffen. Wie SRF berichtet, kam es im Wallis zu mehreren Fällen von Traubendiebstählen.
Von Traubenklau ist im Tessin und am Genfersee nichts bekannt. Doch auch
dort waren die Ernten schlecht. Wobei die Waadtländer Winzer weniger hart
getroffen wurden als ursprünglich befürchtet. Die kleinere Ernte dürfte vielen
gar gelegen kommen, denn die Keller sind noch voll mit Weinen aus den
vergangenen Jahren. Denn nicht nur das Klima macht den Winzern an der «Côte»
und im Lavaux zu schaffen, sondern auch Absatzprobleme.
PIWI als Zukunftslösung?
Wenn von Weinbau und Pflanzenschutz gesprochen wird, kommt immer häufiger das Wort «PIWI» ins Spiel. Es steht für pilzwiderstandsfähige Rebsorten, welche weniger oder auch mal gar nicht gegen Pilzerkrankungen wie Echter und Falscher Mehltau oder Bortrytis gespritzt werden müssen. Viele dieser Rebsorten sind bei den Konsumentinnen und Konsumenten noch unbekannt. Es wird spannend sein zu beobachten, ob und wenn ja welche PIWIs sich am Markt durchsetzen oder bekannte traditionelle Rebsorten, die die Resistenz zum Beispiel mittels Präzisionszüchtungen erhalten. So oder so: Auch pilzresistente Sorten kommen nicht immer ganz ohne Pflanzenschutz aus: Zum einen gibt es sogenannte Resistenzdurchbrüche, zum anderen gibt es keine gegen alles und jedes und auf immer resistenten Sorten. Die Natur passt sich an und mit den wegen des Klimawandels und globalen Handelsströmen migrierenden Krankheiten und Schädlingen wird es immer wieder neue Herausforderungen geben, mit denen sich Weinbau und Landwirtschaft konfrontiert sehen.
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