Der Wind in der Gentech-Debatte dreht

Der Wind in der Gentech-Debatte dreht

Politik und Wirtschaft öffnen sich zunehmend für neue Züchtungsmethoden wie die Genom-Editierung. Das wäre bis vor Kurzem noch undenkbar gewesen. Der Meinungswandel hat vor allem mit den Stimmen aus der Wissenschaft zu tun, die nun langsam Gehör finden. Sogar Exponenten der Grünen verschliessen sich der Debatte um neue Züchtungstechnologien nicht mehr kategorisch.

Montag, 28. Februar 2022

Das Gentech-Moratorium ist in der Schweiz seit der Volksabstimmung von 2005 eine heilige Kuh. Bereits viermal wurde es verlängert. Ernsthafte Debatten über neue Züchtungstechnologien und die Fortschritte in der Pflanzengenetik fanden bisher nicht statt. Ungeachtet der Chancen neuer Züchtungstechnologien wurden «gentechfreie» Lebensmittel weiterhin zu einem Qualitätsmerkmal der Schweizer Landwirtschaft hochstilisiert. Doch wie das «St. Galler Tagblatt» schreibt, findet in der Politik gerade ein Sinneswandel statt.


Chancen statt Risiken

Anstatt nur über Risiken und Gefahren, wird nun plötzlich auch über die Chancen neuer Methoden der Pflanzenzüchtung gesprochen. Dies ist vor allem das Verdienst von Forscherinnen und Forschern. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wird die Stimme der Wissenschaft lauter. Und sie wird gehört. Aus wissenschaftlicher Perspektive lässt sich das Gentech-Moratorium nicht aufrechterhalten. Die nobelpreisgekrönte Genschere CRISPR/Cas9 bietet die Möglichkeit, innerhalb nützlicher Frist ertragreichere, schädlings- und krankheitsresistente Pflanzen zu züchten. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sind das entscheidende Vorteile gegenüber den bisherigen Züchtungsmethoden, die bedeutend mehr Zeit für die Züchtung einer neuen Sorte beanspruchen.


Bauern lenken ein

Dass die Forschung wichtige Impulse geliefert hat, anerkennen auch die Landwirte. «Die Forschung kann insbesondere bei der Entwicklung von resistenteren Pflanzen einen wichtigen Beitrag leisten», sagt etwa Markus Ritter, Präsident des Schweizerischen Bauernverbands im «St. Galler Tagblatt». Die Öffnung der Bauern gegenüber der Genom-Editierung dürfte auch damit zu tun haben, dass der Klimawandel sie zu Innovationen zwingt. Gleichzeitig ist es für sie eine Möglichkeit, nachhaltiger zu wirtschaften und weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. In dieselbe Richtung argumentiert auch Christian Wasserfallen von der FDP: «Wenn wir den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie den Wasserverbrauch reduzieren wollen, brauchen wir diese neuen Technologien.»


Dogmen überwinden

Und auch Jürg Grossen von der GLP möchte alte Dogmen überwinden. Die beiden Agrar-Initiativen vom Sommer 2021 hätten, so Grossen, den Leuten bewusst gemacht, womit Landwirtinnen und Landwirte zu kämpfen haben. Die Genom-Editierung biete die Möglichkeit für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Sogar Ständerätin Maya Graf (Grüne), die durch ihr Engagement für das Gentech-Moratorium bekannt geworden ist, lässt die Tür für eine Debatte einen Spalt breit offen: «Ich bin nicht eine, die kategorisch bis zum letzten Atemzug für das Moratorium kämpft», sagt sie im «St. Galler Tagblatt». Und bestätigt damit den Wandel im Diskurs um neue Züchtungstechnologien.

Ähnliche Artikel

Verkaufsstopps wegen PFAS: Müssen wir uns Sorgen machen?
Medien

Verkaufsstopps wegen PFAS: Müssen wir uns Sorgen machen?

Nach spektakulären Verkaufsverboten für Fisch und Fleisch wegen PFAS-Belastungen stellen sich Konsumentinnen und Konsumenten die Frage: Wie gefährlich sind die Stoffe wirklich – und was landet noch bedenkenlos im Einkaufschörbli?

Wie deutsche Experten über neue Züchtungsmethoden denken
Medien

Wie deutsche Experten über neue Züchtungsmethoden denken

In kaum einem anderen Land wird die Bio-Landbau-Idylle in der Öffentlichkeit so gepflegt wie in Deutschland. Natürlichkeit und ländliche Ursprünglichkeit sind mentale Sehnsuchtsorte vieler Deutscher. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der Widerstand gegen neue Züchtungsmethoden gross ist – und dass die Unkenntnis über den eigenen Bio-Landbau fast schon vorsätzlich wirkt.

Warum Konsumenten genomeditierte Lebensmittel auf dem Teller akzeptieren
Medien

Warum Konsumenten genomeditierte Lebensmittel auf dem Teller akzeptieren

Die Akzeptanz von genomeditierten Lebensmitteln steigt, wenn der konkrete Nutzen für Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar ist. Eine aktuelle Untersuchung des Center for Food Integrity (CFI) in Zusammenarbeit mit FMI – The Food Industry Association zeigt, dass Konsumentinnen und Konsumenten Technologien wie die Genom-Editierung dann positiv bewerten, wenn sie klare Vorteile für Gesundheit, Umwelt oder Versorgungssicherheit erkennen.

Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung
Medien

Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung

Wenn die meisten von uns das Wort Mutation hören, sind die Assoziationen selten positiv. Wir denken an radioaktive Monster, Comic-Schurken oder genetische Krankheiten wie die Sichelzellenanämie. In der Popkultur stehen «Mutanten» oft für Gefahr. Die wohl bekanntesten sind Marvels X-Men, die bereits vier Kinoadaptionen erlebt haben und bis heute einen festen Platz unter Science-Fiction-Fans einnehmen.

Weitere Beiträge aus Medien