Risiken für Schweizer Ernährungssicherheit
Trotz der Covid-19-Pandemie war die Ernährungssicherheit in der Schweiz zu jeder Zeit gewährleistet. Dennoch sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Laut einer aktuellen Analyse von Agroscope bestehen für die Nahrungsmittelversorgung auch nach Corona viele Gefährdungen. Zu den grössten Risiken für die inländische Ernährungssicherheit gehören Strommangel, Auslandabhängigkeit und der Klimawandel.
Freitag, 13. August 2021
Das Wichtgste in Kürze:
- Auch in der Corona-Pandemie zeigte sich das Ernährunssystem der Schweiz als robust.
- Dennoch bestehen für die Ernährungssicherheit grosse Risiken.
- Strommangellagen, Abhängigkeit vom Ausland sowie der Kimawandel stellen grosse Herausforderungen dar.
Im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) analysiert Agroscope jährlich die Gefährdungen für die Nahrungsmittelversorgung. Damit sollen mögliche Gefahren frühzeitig erkannt und die Versorgungssicherheit auch in schweren Mangellagen gewährleistet werden. Im Gegensatz zu den weltweiten Entwicklungen, kann die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Sie nimmt seit einigen Jahren sogar leicht ab. Der Bedarf an Lebensmittelimporten nimmt deshalb zu. Vor diesem Hintergrund identifiziert die Forschungsstelle drei Hauptrisiken für die Ernährungssicherheit der Schweiz.
Strommangellage
Bereits 2020 kam das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in seiner Risikoanalyse zum Ergebnis, dass eine Strommangellage für die Schweiz überhaupt das grösste Risiko darstellt. Die Wahrscheinlichkeit sowie das Schadensausmass für die Lebensmittelversorgung schätzt auch Agroscope als besonders gross ein. Eine schwere Strommangellage hätte Auswirkungen auf die gesamte Produktionskette und würde die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln massiv beeinträchtigen. Kommt hinzu, dass die negativen Auswirkungen wohl nicht in kürzester Zeit behoben werden könnten. Ein Notvorrat an Lebensmitteln in den eigenen vier Wänden sei deshalb immer noch sinnvoll.
Auslandabhängigkeit
Die schweizerische Landwirtschaft ist in vielerlei Hinsicht massiv vom Ausland abhängig. Insbesondere Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie Futtermittel werden zum grössten Teil importiert.- Von den forschenden Agrarunternehmen haben zwar einige grosse Forschungs- und Produktionsstandorte für Pflanzenschutzmittel in der Schweiz, das sogenannte «Packaging & Bottling» findet aber aus Kostengründen nicht hier statt. Die Herstellung von Saatgut ist wiederum sehr zeitintensiv und witterungsabhängig. Trotzdem lassen Agrarunternehmen Sorten auch in der Schweiz vermehren. Doch beruht die Züchtung mehrheitlich auf globalen Prozessen, die besonders anfällig für Störungen sind. Wer einen höheren Anteil an schweizspezifischen Züchtungen will, muss dafür sorgen, dass neue Züchtungsmethoden in Forschung und Anbau in der Schweiz zugelassen sind und damit gerade kleine Züchtungsfirmen in der Schweiz mit dem Ausland mithalten können. Als Sofortmassnahme plant der Bund neue Pflichtlager für Raps-Saatgut.
Angesichts der Tatsache, dass der Rapsanbau aufgrund des Wegfalls relevanter Pflanzenschutzmittel in der Schweiz immer schwieriger wird, ist die Frage, ob hier nicht halbherzig gehandelt wird, berechtigt. Problematisch wäre in einer Notsituation zudem der Nachschub an Düngemitteln. Zwar gibt es Pflichtlager für Stickstoffdünger, doch seit Lonza im Jahr 2018 ihre Produktion von Stickstoffdünger aufgegeben hat, ist die Schweiz hier komplett vom Ausland abhängig. In der Tierhaltung bestehen grosse Abhängigkeiten beim Kraftfutter. In der Schweinezucht liegt der Anteil des Importierten Kraftfutters bei 50 Prozent. Bei Geflügel liegt er sogar bei 75 Prozent. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die EU die Verwertung von tierischen Nebenprodukten als Futter für Schweine und Geflügel wieder zulässt.
Die Aufhebung des Verbots habe zwei Gründe: Erstens fördere der «European Green Deal» und die «Farm-to-Fork-Strategie» die Verwendung von Nebenprodukten aus der Lebensmittelindustrie sowie die Verwendung nachhaltiger und lokaler Futtermittelkomponenten. Weiter könnten verarbeitete tierische Proteine in nennenswerten Mengen Sojaextraktionsschrot ersetzen. In der Schweiz gilt ein allgemeines Verbot für die Verfütterung tierischer Nebenprodukte an Nutztiere. Auch wenn eine erneute BSE-Krise verhindert werden soll, sollte die Schweiz diese Massnahme zur Verhinderung von «Feed waste» und Verringerung der Auslandabhängigkeit wieder überdenken.
Klimawandel
Für zusätzliche Unsicherheit sorgt der Klimawandel. So würden zunehmende Extremwetterereignisse, veränderte saisonale Niederschlagsmuster sowie Temperaturen eine Anpassung der Landwirtschaft erfordern. Ob entsprechende Massnahmen genügend schnell und in angemessenem Umfang ergriffen werden können, muss sich noch zeigen. Insgesamt, so Agroscope, erhöhe der Klimawandel künftig das Risiko von Nahrungsmittelengpässen. Die landwirtschaftliche Produktion wird eine höhere Volatilität aufweisen. Das Fazit der Agroscope-Forscher: Damit die Schweiz ihre Ernährungssicherheit auch in einer schweren Mangellage aufrechterhalten kann, ist sie auf substanzielle Importe angewiesen. Die Aufrechterhaltung von Handels- und Transportsystemen ist dabei zentral. Doch gerade die Pandemie hat gezeigt, dass dies im Ernstfall schwierig werden kann und sich Grenzen auf einmal schliessen.
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