Agrarproduktion der EU sinkt um bis zu 20 Prozent

Agrarproduktion der EU sinkt um bis zu 20 Prozent

Der «Green Deal» der EU führt zu einer Reduktion der landwirtschaftlichen Produktion in der EU und zu sinkenden Einkommen der Bauern. Gleichzeitig importiert die EU mehr Agrargüter und die Konsumenten zahlen höhere Preise. Auch steigt der Landverbrauch im Rest der Welt. Das zeigen übereinstimmend mehrere Untersuchungen.

Freitag, 15. Oktober 2021

Mit dem «Green Deal» hat sich die EU ambitiöse Umweltziele gesetzt. Betroffen ist auch der Agrarsektor. Zentrale Bestandteile des «Green Deals» sind im Bereich der Landwirtschaft die Strategien «Farm to Fork» (F2F) und die Biodiversitätsstrategie (BD). Bis 2030 soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft halbiert werden. Die Strategie umfasst auch eine Reduktion der Düngemittel, die Senkung des CO2-Ausstosses und die Förderung der Biodiversität (vgl. Kasten Farm to Fork-Strategie).


Farm to Fork senkt Produktion

Mit detaillierten Fallstudien analysiert die renommierte Wageningen Universität die Auswirkungen des «Green Deals» auf die landwirtschaftliche Produktion in der EU. Erste Resultate der Studie wurden kürzlich veröffentlicht. Laut Professor Johan Bremmer zeigt die Studie, dass die «F2F»-Strategie die landwirtschaftliche Produktion in der EU senkt. Im Schnitt wird mit einer Reduktion zwischen 10 und 20 Prozent gerechnet. Bei voller Umsetzung von F2F- und Biodiversitätsstrategie drohten Produktionsrückgänge bei einzelnen Kulturen bis zu 30% – bei Weizen um 18% bei nur 3% Preisanstieg – sowie starke Preisanstiege, etwa bei Wein. «Weniger Produktion führt zu Preissteigerungen, weniger europäischen Exporten und mehr Importen von Agrarprodukten aus anderen Ländern.» Es drohe ein Einbruch des Produktionswerts um mindestens 140 Mrd. Euro sowie landwirtschaftlicher Einkommen.


Qualitätsprobleme und Verknappung des Angebots

Wie die Studienautoren ausführen, kann die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln auch zu Qualitätsproblemen führen: «For example, if fewer pesticides are used, grain can become susceptible to fungal toxins, making it unsuitable as food or feed.» – «Wenn beispielsweise weniger Pestizide eingesetzt werden, kann das Getreide anfällig für Pilzgifte werden, so dass es als Lebens- oder Futtermittel ungeeignet ist.» (Anmerkung der Redaktion). Und bezieht sich damit auf die krebserregende Wirkung von Mykotoxinen, die eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Die Auswirkungen der EU-Strategie «Farm to Fork» zeigen sich auch bei den Konsumentenpreisen. Die Studie rechnet mit einer Verknappung von qualitativ einwandfreien Produkten und somit mit steigenden Preisen für die Konsumentinnen und Konsumenten. Betroffen ist auch die EU-Handelsbilanz. Die Einfuhren – insbesondere von Mais und Raps – würden massiv bis zu einer Verdoppelung ansteigen. Die sinkende Agrarproduktion senkt die Exporte und erhöht die Importe. Die grösseren Importe von ausserhalb der EU erhöht den Landverbrauch im Rest der Welt.


Zweifelhafter Umweltnutzen

Die Umweltwirkungen sind nicht Teil der Studie, doch der steigende Landverbrauch ausserhalb der EU setzt landwirtschaftlich noch nicht genutzte Flächen im Rest der Welt zweifellos unter Druck. Somit stellt sich auch die Frage des Umweltnutzens, wenn die Produktion in andere Teile der Welt verlagert wird. Selbst wenn die CO2-Belastung in der EU sinkt, wird durch die Produktion im Rest der Welt und durch die weltweite Lieferkette ebenfalls CO2 freigesetzt. Die Studienautoren fordern, dass die negativen «trade offs» von der EU besser berücksichtigt werden. Und sie verweisen auf den Beitrag der Forschung, um die negativen Auswirkungen besser in den Griff zu bekommen. Namentlich verweisen sie darauf, dass Hürden für neue Züchtungsmethoden wie die Genom-Editierung aufgehoben werden sollten.


Importe und Umweltbelastungen im Ausland nehmen zu

Die ersten Resultate der Wageningen-Studie bestätigen Erkenntnisse zu den negativen Auswirkungen des «Green Deals» auf die EU-Landwirtschaft von früheren Studien. Den Beleg, dass nicht nur die Produktion ausgelagert, sondern mit ihr auch die ökologischen Belastungen, liefert eine Studie des Joint Research Centre of the EU (JRC). Damit wird die ursprünglich ökologische Zielsetzung von «Farm to Fork» pervertiert. Während die EU-Landwirtschaftsexporte sinken, nehmen die Importe zu. Diese Resultate werden auch durch eine ergänzende Studie der Universität Kiel bestätigt und verdeutlicht. Deren Studienleiter Prof. Dr. Dr. Henning: «Das Massnahmenpaket steigert zwar die Ökosystemleistungen in der EU, erzielt jedoch den angestrebten positiven Effekt auf das Klima weltweit noch nicht. Die prognostizierten Treibhausgas-Einsparungen (THG) durch eine Verringerung der europäischen Agrarproduktion werden durch eine Erhöhung der THG-Emissionen der Landwirtschaft außerhalb der EU sowie durch Landnutzungswandel in der EU vollständig nivelliert.» Die Studie zeige zudem: «Die EU wird bei der Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie vom Getreideexporteur zum Getreideimporteur. Deshalb sind Augenmass und Kompromisse gefragt, um die Nahrungsmittelproduktion, Arten-, Gewässer- und Klimaschutz miteinander in Einklang zu bringen.» Die amerikanische USDA-Studie rechnet mit einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion in der EU von 12 Prozent und einem Anstieg der Preise um 17 Prozent. Gleichzeitig sinken die Einkommen der Bauern in der EU um 16 Prozent.


Ernährungssicherheit von 22 Millionen Menschen gefährdet

Die amerikanische Studie zeigt zudem anschaulich, was die bewusste Verknappung der landwirtschaftlichen Produktion durch die EU weltweit bedeutet. Global steigen die Preise um 9 Prozent und die Ernährungssicherheit von 22 Millionen Menschen ist gefährdet, weil die EU mehr Landwirtschaftsgüter importiert. Die sinkende landwirtschaftliche Produktion in der EU gefährdet somit die Versorgungssicherheit andernorts, Hunger droht. Eine verfehlte Politik kann dramatische Konsequenzen haben. Was die Lebensmittelpreise betrifft, vermeldet die FAO (Food and Agriculture Organization der UN) schon dieses Jahr einen Anstieg um 10 Prozent.

Gemäss einem Bericht in der Zeitung der «Schweizer Bauer» verlangt nicht nur die Wissenschaft bessere Folgeabschätzungen des «Green Deals». Auch einige EU-Mitgliedstaaten äussern sich skeptisch hinsichtlich einer verstärkten Einbindung der Landwirtschaft in den Klimaschutz. «Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei betonten, die Anforderungen an den Klimaschutz dürfen die landwirtschaftliche Erzeugung nicht einschränken oder zu höheren Lebensmittelpreisen führen.»


Umfassende Sicht erforderlich

Dass die EU-Kommission eine Regulierungsfolgeabschätzung macht, ist auch im Interesse der Schweiz, importieren wir doch 50 % unserer Nahrungsmittel – darunter einen grossen Anteil aus EU-Ländern. Das EU-Beispiel sollte aber auch der Schweiz für ihre eigene Regulierung zu denken geben: In der Schweiz ist die AP22+ sistiert. Zum Glück muss man sagen, denn sie atmet den gleichen Geist wie das europäische Pendant «Farm to Fork». Doch auch mit der anstelle der AP22+ erlassenen Parlamentarischen Initiative und ihren Umsetzungsverordnungen wird ohne Regulierungsfolgeabschätzung, ohne umfassende Sicht der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen an wesentlichen Stellschrauben gedreht. Die Konsequenz: Die Produktivität der Landwirtschaft sinkt, ökologische Auswirkungen werden verlagert, die Importe und Konsumentenpreise steigen.

«Farm to Fork»-Strategie der EU
Der Schweizer Bauer fasst die «Farm to Fork»-Strategie der EU wie folgt zusammen: «Mit der Farm-to-Fork-Strategie setzte die EU-Kommission der Landwirtschaft Reduktionsziele. Bis 2030 soll der Einsatz und das Risiko chemischer Pflanzenschutzmittel um 50% verringert werden. Die Verwendung gefährlicherer Pflanzenschutzmittel soll um 50% sinken. Weiter sollen die Nährstoffverluste um mindestens 50% verringert werden, wobei gleichzeitig sichergestellt wird, dass es zu keiner Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit kommt. Dadurch wird der Einsatz von Düngemitteln bis 2030 um mindestens 20% reduziert. 25% der europäischen Agrarflächen sollen bis 2030 biologisch bewirtschaftet werden. Die Gesamtverkäufe von antimikrobiellen Mitteln für Nutztiere und Aquakultur in der EU sollen bis 2030 um 50% sinken.»

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