Bei Bio Suisse klaffen Schein und Wirklichkeit auseinander

Bei Bio Suisse klaffen Schein und Wirklichkeit auseinander

Der Dachverband Bio Suisse hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Organisation mit fast 100 Angestellten entwickelt. Um die vom Detailhandel geforderten Mengen und die hohe, auch optische Qualität des konventionellen Anbaus erzielen zu können kommt auch Bio Suisse nicht um Flächenspritzungen mit Insektiziden herum.

Donnerstag, 1. Juni 2023

Bio Suisse wurde 1981 mit wenig Geld von überzeugten Biopionieren gegründet. Wie «SonntagsZeitung» und «K-Tipp» berichten, ist der Dachverband Bio Suisse in der Zwischenzeit zu einer wohlhabenden Organisation mit grossem Verwaltungsapparat geworden. 22,6 Millionen Franken beträgt der Umsatz. 93 Mitarbeitende zählt die Organisation. «Die heutige Dimension von Bio Suisse passt eher zu einem KMU als zu einem Verband, der sich für Umweltschutz und Tierwohl einsetzt», schreibt die «SonntagsZeitung».


Höhere Grossverteiler-Margen als Treiber?

Durch das starke Wachstum hat sich auch die Struktur von Bio Suisse gegenüber den Gründungsjahren verändert. «Bio Suisse kam durch das sehr starke Wachstum unter Zugzwang, mehr Betriebe zur Umstellung zu bewegen, damit diese Bioprodukte an die Detailhändler liefern können, insbesondere an Coop», sagt Daniel Bärtschi, Exgeschäftsführer von Bio Suisse gegenüber der «SonntagsZeitung». Die Folge davon ist, dass viele Bauernbetriebe nicht mehr aus Überzeugung, sondern aus rein wirtschaftlichen Interessen mitmachen. Bioprodukte können in der Schweiz rund 50 Prozent teurer verkauft werden als konventionell hergestellte Produkte. Die Marge ist vor allem für die Grossverteiler hoch. So soll Coop gemäss «SonntagsZeitung» Druck auf Bio Suisse ausgeübt haben, damit die Bio-Preise hoch bleiben.


Auch Biopflanzen brauchen Schutz

Damit die Nachfrage nach Biolebensmitteln befriedigt werden kann, sind Pflanzenschutzmittel unabdingbar, wie zum Beispiel das Insektizid Spinosad. Spinosad ist ein Kontaktgift, das zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt wird. Es muss breitflächig appliziert werden und kann daher auch Nützlinge wie Marienkäfer, aber auch Bienen und Wasserorganismen schädigen. Spinosad ist wichtig im Biolandbau: Agroscope stellte bereits 2020 in einer Untersuchung fest, dass bei einem Verzicht auf Spinosad mit grösseren Schwierigkeiten in der biologischen Produktion in allen Kulturbereichen gerechnet werden müsste.

Wie die «BauernZeitung» schreibt, erklärt Bio Suisse die Zulassung von Spinosad mit dem erhöhten Schädlingsdruck. «Aufgrund des zunehmenden Schädlingsdrucks wurde die erweiterte Anwendung auf Antrag der Fachgruppe Gemüse und Kartoffeln gestattet», schreibt Bio Suisse auf Anfrage der «BauernZeitung» zu den Gründen. Zudem seien die Detailhändler äusserst streng bei den Abnahmebedingungen. Fressschäden durch Schädlinge würden nicht akzeptiert. Die Biomethoden können die Schäden nicht verhindern.

Widersprüchliche Haltung

Das Beispiel verdeutlicht die widersprüchliche Haltung von Bio Suisse gegenüber der Realität. In der Werbung wird pure Natürlichkeit und heile Welt zelebriert. Doch den Schädlingen ist das egal – und um die vom Detailhandel geforderten Mengen und die hohe, auch optische Qualität des konventionellen Anbaus erzielen zu können, ist auch Bio auf hochwirksame Insektizide angewiesen, die richtig angewendet sein wollen. Schein und Realität klaffen auseinander. Doch aus Sicht eines Landwirts ist der Griff zum Pflanzenschutz verständlich: Auch Biobauern wollen ernten können und die Ernten sollen bei den Konsumentinnen und Konsumenten auch ankommen. Denn «Food Loss» auf dem Feld und «Food Waste», weil der Detailhandel Produkte zurückweist, ist eine Verschleuderung von Ressourcen. Was bleibt, ist jedoch ein schaler Nachgeschmack. Mehr Ehrlichkeit würde Bio Suisse gut anstehen. Doch vielleicht kommt hier der häufig gehörte Marketingspruch zur Anwendung, dass die Konsumentinnen und Konsumenten halt auch etwas belogen sein wollen.

«Bio kommt ohne Pestizide aus.»

Dass Biolandwirte ohne Pestizide arbeiten, ist zwar eine weit verbreitete Ansicht, ist aber ganz klar falsch. Rund 60 Prozent der Schweizer Top-Ten-Pflanzenschutzmittel sind auch für den Biolandbau zugelassen. Die Biolandwirtschaft könnte ohne moderne synthetische Pflanzenschutzmittel in der jetzigen Form nicht existieren.

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