
Inländische Produktion als blinder Fleck
Die Ernährungssicherheit der Schweiz steht zunehmend unter Druck: Die katastrophale Weizen- und Kartoffelernte vom letzten Jahr sorgte für eine zunehmende Importabhängigkeit. Doch der Bericht des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) schweigt weitgehend über die prekären Zustände der heimischen Landwirtschaft. Die IG BauernUnternehmen hat deshalb den Bund scharf kritisiert.
Donnerstag, 23. Januar 2025
2024 ging als eines der schlechtesten Erntejahre in die Geschichte der Schweiz ein. Nasses Wetter, kombiniert mit Pflanzenkrankheiten und Schädlingen, führte zu massiven Ausfällen bei Kartoffeln und Weizen. Schweizer Bauern sprachen von einem «Schicksalsjahr». Die Kartoffelernte wurde als desaströs bezeichnet, während die Weizenernte seit Jahrzehnten nicht mehr so niedrig war.
Anstatt diese Entwicklungen zu thematisieren, blieb die Inlandproduktion – inklusive der schlechten Ernten bei Weizen und Kartoffeln – im Bericht des BWL zur Ernährungssicherheit im August weitgehend unerwähnt, wie der «Schweizer Bauer» berichtet. Dies sorgte für Empörung, insbesondere bei der IG BauernUnternehmen. Im September veröffentlichte die IG eine Medienmitteilung mit dem Titel: «Wer stoppt dieses realitätsfremde Beamtentum der wirtschaftlichen Landesversorgung?».
Die IG BauernUnternehmen zog sogar eine Beschwerde gegen den Bericht in Erwägung. Das Argument: Der Bericht sei nicht nur willkürlich und faktenwidrig, sondern verstosse auch gegen die Verfassung.
Selbstversorgungsgrad der Schweiz nur noch bei 52 Prozent
Mit einem Bruttoselbstversorgungsgrad von nur noch etwa 52 Prozent ist die Schweiz zunehmend auf Importe angewiesen. Doch auch im Ausland gab es 2024 erhebliche Ernteausfälle. In Europa beeinträchtigten starke Regenfälle das Pflanzenwachstum, was zu Ertragsminderungen in Ländern wie Frankreich, Italien und Österreich führte.
Woher soll die Schweiz ihre Lebensmittel beziehen, wenn auch Nachbarländer mit Ertragseinbussen kämpfen, fragte die IG BauernUnternehmen in ihrer Medienmitteilung. Zudem verwies die IG darauf, dass die Lebensmittelproduktion im Ausland oft eine höhere ökologische Belastung verursacht. So sind die Auswirkungen der wasserintensiven biologischen und konventionellen Gemüseproduktion im spanischen Alméria regelmässig ein mediales Thema, als Beispiele dienen ein Artikel aus «agrarheute» und ein Beitrag von SRF. Auch wird die Umwelt durch Transporte belastet. Wassermangel und Transportauswirkungen kumulieren sich im Fall von Ägypten, einem der Hauptexportländer der Schweiz für Kartoffeln. Aufgrund der miserablen Ernten hierzulande im letzten Jahr müssen noch mehr Kartoffeln als sonst von dort importiert werden, Bio noch mehr als konventionelle. Ernährungssicherheit sei auch aus globaler Umweltsicht essenziell. Gleichzeitig betont die IG BauernUnternehmen, dass Pflanzenschutz für eine ressourceneffiziente Landwirtschaft unerlässlich sei.
Ein Wechsel mit Signalwirkung?
Kurz nach der Kritik der IG BauernUnternehmen gab es Bewegung beim BLW: Der Delegierte Hans Häfliger trat per Jahresende zurück. Und der Lagebericht des BWL vom 9. September 2024 lieferte erstmals Informationen zur Lage der Ernährungssicherheit und der Situation im Getreideanbau. Die Kartoffelernte und der fehlende Pflanzenschutz wurden jedoch nach wie vor mit keinem Wort erwähnt. Eine holistische Sicht bei diesem Bundesamt ist dringend nötig.
Eins steht fest: Die Herausforderungen für die Schweizer Landwirtschaft sind enorm. Die inländische Produktion sinkt und gleichzeitig werden Importe zunehmend unsicherer. Die Lösung liegt aus Sicht der IG Bauern Unternehmen in einer Stärkung der Inlandsproduktion, wozu auch der gezielte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gehört. Die IG ist der Meinung, dass nur so die Ernteverluste minimiert werden können. Und nur so kommt man einer wirklich ressourceneffizienten Landwirtschaft näher.
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