Wissenschaftlich bewerten statt pauschal verbieten
Die Diskussion um PFAS gewinnt in der Schweiz an Dynamik. Im Zentrum stehen Fragen zu möglichen Gesundheits- und Umweltrisiken sowie der künftigen Regulierung. Dabei ist ein differenzierter, wissenschaftsbasierter Ansatz zentral – darauf weist scienceindustries im Rahmen eines Kurzinterviews mit Dominique Werner, Leiter Chemikalienregulierung, hin.
Freitag, 19. Dezember 2025
PFAS sind keine homogene Stoffgruppe. Sie finden breite Verwendung und umfassen tausende Substanzen mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften. Einige gelten als persistent und toxisch, andere sind weit weniger mobil oder biologisch verfügbar. Die pauschale Einteilung als «gefährliche Chemikalien» greift zu kurz. Auch allgemeine Grenzwerte, etwa im Trinkwasser, müssten toxikologisch begründet sein und auf wissenschaftlichen Bewertungen einzelner Verbindungen basieren.
Gleichzeitig werden viele PFAS nicht ohne Grund eingesetzt. In vielen Bereichen wie Medizin, Mikroelektronik, Luftfahrt oder Elektromobilität erfüllen sie Funktionen, für die derzeit keine gleichwertigen Alternativen verfügbar sind. PFAS sind in diesen Anwendungsfeldern oft schwer ersetzbar – mit hoher Relevanz für Industrie und Gesellschaft. Die Industrie arbeitet an Ersatzstoffen und Sanierungsmassnahmen. Wo technisch gleichwertige und sichere Alternativen existieren, werden sie eingesetzt. Wo dies (noch) nicht der Fall ist, braucht es eine risikobasierte Regulierung anstelle pauschaler Verbote.
Eine pauschale Regulierung oder sogar Verbote ganzer Stoffgruppen ohne Einzelfallbewertung bergen die Gefahr, zentrale industrielle Anwendungen zu beeinträchtigen. Ihr Gebrauch muss möglichst klug geregelt werden. Es ist daher richtig, dass der Bundesrat am 19. Dezember 2025 die Lancierung eines Aktionsplans beschlossen hat, der sowohl den bundesämterübergreifenden Austausch als auch den Austausch mit den Kantonen intensiviert und institutionalisiert, sodass die Bundesämter und die Kantone ihre Massnahmen künftig noch besser aufeinander abstimmen oder allfällige Lücken identifizieren können. Im Zentrum des Aktionsplans soll – neben der verstärkten Koordination – die Abstimmung zwischen den Bereichen Wasser, Boden, Lebensmittel und Trinkwasser stehen, wo zahlreiche Stakeholder (unterschiedliche Ämter auf Stufe Bund und Kantone, verschiedene Sektoren, Industriebranchen, Landwirtschaft, Fischerei, Wasserversorgung) involviert wären. Daher ist ein abgestimmtes Vorgehen mit klar definierten Zielen und zur Koordination des kantonalen Vollzugs und des Monitorings unerlässlich. Beispielsweise sollen Massnahmen bei Überschreitungen von Höchstgehalten in Lebensmitteln entlang der Lebensmittelkette schweizweit koordiniert werden. Trotz der grossen Herausforderungen sollen mit dem Aktionsplan keine umfassenden zusätzlichen Massnahmen initiiert werden. Vielmehr sollen die laufenden und geplanten Massnahmen gebündelt, noch besser koordiniert und mit den Stakeholdern abgestimmt werden. Auch angestrebt wird eine Verbesserung der Information der Öffentlichkeit, insbesondere via die Internetseiten des BLV und des BAFU.
Denn: Es ist zentral, dass über die Risiken, die Güterabwägung Risiko/Nutzen und die Strategien aller Involvierten bezüglich PFAS offen und sachlich informiert wird. Und auch, dass «beruhigende Resultate» wie sie die VKCS-Präsidentin Alda Breitenmoser bei der Präsentation der repräsentativen Untersuchung von 900 Schweizer Lebensmitteln durch den Kantonschemiker-Verband nannte, die Öffentlichkeit erreichen . Sie sagt gegenüber dem TagesAnzeiger klar: «Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen beim Einkauf in der Schweiz nicht befürchten, dass sie zu stark mit PFAS belastete Lebensmittel im Warenkorb haben.»
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