PFAS-Regulierung in der Schweiz: Nicht schneller, sondern besser

PFAS-Regulierung in der Schweiz: Nicht schneller, sondern besser

Manche nennen PFAS auch «Ewigkeitschemikalien». Ihr Gebrauch muss möglichst klug geregelt werden. Dafür braucht es zuerst präzise Grundlagenarbeit des Bundes, finden Stefan Brupbacher, Urs Furrer und Stephan Mumenthaler.

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Eine Nachricht aus St. Gallen hat unlängst für Aufregung gesorgt. In einigen Lebensmitteln wurden Grenzwertüberschreitungen von PFAS festgestellt. Schlagartig erhöhte sich damit das öffentliche Interesse rund um die manchmal auch als «Ewigkeitschemikalien» bezeichneten «per- oder polyfluorierten Alkyl- verbindungen», kurz PFAS. Das ist verständlich: Wo Mensch und Umwelt potenziell tangiert sind, gilt es, genau hinzusehen und, wo sinnvoll, entschieden zu handeln.

PFAS sind äusserst stabil und bauen sich in der Umwelt nur sehr langsam ab. PFAS sind aber auch ein Segen für die Gesellschaft. Sie finden sich in unterschiedlichsten Anwendungen der gewerblichen und industriellen Produktion. Sie werden für die Herstellung von Chips in Laptops und Handys sowie für die Stromerzeugung in Solarzellen oder Windanlagen benötigt. PFAS machen Gebäudehüllen dicht und sind in der Diagnostik sowie der naturwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung unersetzlich. Ohne PFAS sind Motoren weniger effizient, was schlecht ist für die Umwelt. Ohne PFAS halten Dichtungen weniger lange, und Pumpen in Präzisionsmaschinen gehen früher zu Bruch, was ebenfalls nicht im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Zudem: Sehr viele Medika- mente für Mensch und Tier enthalten Wirkstoffe, die unter die Definition von PFAS fallen.

Doch was sind PFAS genau? Die Abkürzung suggeriert, dass es sich hierbei um eine chemisch einheitliche Stoffgruppe handelt. Das ist jedoch nicht der Fall – weshalb es falsch ist, alle PFAS über einen Kamm zu scheren. Laut einem OECD-Report aus dem Jahr 2018 sind 4730 PFAS bekannt; verwendet man die Definition der EU, sind es gegen 10 000 Substanzen. 256 dieser Stoffe werden gemäss einer Studie aus dem Jahr 2021 in der EU kommerziell im Umfang von über einer Tonne pro Jahr genutzt, etwa 1400 PFAS sind überhaupt auf dem Markt. Fakt ist zudem – und das wird häufig vergessen –, dass bestimmte PFAS schon seit über zehn Jahren als sehr kritisch eingestuft werden und ihr Einsatz zu Recht stark eingeschränkt oder gar verboten ist.

Die entscheidende Frage rund um PFAS lautet: Wie und wo setzen wir diese hoch stabilen Moleküle ein, um Mensch und Umwelt optimalen Nutzen zu bieten und gleichzeitig damit einhergehende Probleme zu minimieren?

Oder anders gefragt: Was ist ein zielführendes Vorgehen bei der Regulierung von PFAS? Dazu drei Gedanken. Erstens: Statt PFAS-Sippenhaftung sollten wir die einzelnen Fälle betrachten und auf die problematischen fokussieren. Zweitens sollten wir entlang von Risikoüberlegungen priorisieren. Klar ist: Relevant sind jene PFAS, die in die Umwelt gelangen.

Und drittens müssen wir berücksichtigen, ob die vorhandenen PFAS-freien Alternativen besser oder schlechter sind für Mensch und Umwelt als der Ist-Zustand. Niemand wünscht sich eine Verschlimmbesserung der Situation – auch nicht durch gutgemeinte Regulierung. Zuerst sind jedoch einige offene Fragen zu klären. Zum Beispiel wissen wir nur sehr wenig über die Ausbreitungspfade von PFAS. Zwar sind bestimmte PFAS an vielen Orten zu finden, aber es ist weitgehend unklar, welche Mengen PFAS auf welchen Wegen in die Umwelt gelangt sind oder heute noch in die Umwelt gelangen. War es in St. Gallen der Klärschlamm, der seit achtzehn Jahren gar nicht mehr auf Felder aus- gebracht werden darf? Oder sind es wasserabweisende Outdoor-Jacken, die in den Keh- richtverbrennungsanlagen landen? Zu wichtigen Punkten fehlen gesicherte Antworten und belastbare Informationen.

Ein undifferenziertes PFAS-Verbot würde der Umwelt sowie der Wirtschaft mehr schaden als nützen. Der Bund ist deshalb gefordert, die Fakten umfassend und präzis zu prüfen. Industrie und Gewerbe sehen sich als Partner, die mit der Wissenschaft und den Behörden der PFAS- Sache auf den Grund gehen. Die Schweiz kann sich an Belgien ein Beispiel dafür nehmen, wie der Dialog zwischen Behörden und Industrie zielführend gestaltet werden kann.

Eine sorgfältige Erhebung der Fakten würde auch der Schweiz helfen, der PFAS-Problematik in all ihren Facetten auf den Grund zu gehen und jene Datenbasis zu schaffen, ohne die eine intelligente Regulierung nicht gelingt. Die Grundlagenarbeit für eine risikobasierte Regulierung, die der Bundesrat aufgrund eines Vorstosses im Parlament in den nächsten Monaten erarbeiten muss, ist deshalb enorm wichtig und erfordert höchste Sorgfalt. Dabei ist es zentral, dass das in den Industrie- und Gewerbeunternehmen fachlich relevante Wissen mit einfliesst. Nur so kann die Bundesverwaltung Massnahmen zur Reduktion der tatsächlichen Risiken ergreifen und zugleich sichere und unersetzliche technische Verwendungen in Industrie und Gewerbe erhalten.

STEFAN BRUPBACHER ist Direktor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Tech-Industrie.
URS FURRER ist Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes.
STEPHAN MUMENTHALER ist Direktor von Scienceindustries, dem Verband der Firmen aus Chemie, Pharma und Life-Sciences.

Dieser Gastartikel erschien als Erstveröffentlichung in der «NZZ am Sonntag» am 30. November 2024.

Kindly note:

We, a non-native editorial team value clear and faultless communication. At times we have to prioritize speed over perfection, utilizing tools, that are still learning.

We are deepL sorry for any observed stylistic or spelling errors.

Ähnliche Artikel

VerGIFTungen auf der Spur
Medien

VerGIFTungen auf der Spur

Zahlen der Tox Info Suisse von 2023 zeigen: Für Vergiftungen in der Schweiz sind vor allem Medikamente und Haushaltprodukte verantwortlich. Über 40'000 telefonische Gift-Beratungen führte die Tox Info im letzten Jahr durch. Die Statistik kontrastiert mit der medialen Berichterstattung. Wenn in den Medien von «Gift» die Rede ist, sind meist Pflanzenschutzmittel im Fokus. In der Beratungsstatistik figurieren Produkte aus Landwirtschaft und Gartenbau jedoch mit 2,2 Prozent der Anfragen gegen den Schluss der Tabelle.

Wasser bedenkenlos trinken
Medien

Wasser bedenkenlos trinken

Für die welsche Konsumentensendung «A Bon Entendeur» wurden verschiedene Mineralwasser auf ihre Reinheit untersucht. Bei einigen wurden Rückstände von Abbauprodukten des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil gefunden. Gemäss der Ökotoxikologin Nathalie Chèvre der Universität Lausanne besteht jedoch kein Grund zur Beunruhigung.

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo
Politik

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo

Die Schweiz ist ein Innovationsstandort, doch leider wird dieses Versprechen bei den moderneren Methoden der Pflanzenzucht bis heute nicht eingelöst. Offenheit würde der innovativen Schweiz auch da gut anstehen.

gfs-Umfrage bestätigt hohe Akzeptanz der Genom-Editierung
Politik

gfs-Umfrage bestätigt hohe Akzeptanz der Genom-Editierung

Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung anerkennt den Vorteil gezielter Pflanzenzüchtung mit Genom-Editierung. Das zeigt eine Umfrage von gfs.bern.

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo
Politik

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo

Die Schweiz ist ein Innovationsstandort, doch leider wird dieses Versprechen bei den moderneren Methoden der Pflanzenzucht bis heute nicht eingelöst. Offenheit würde der innovativen Schweiz auch da gut anstehen.

Ermöglichen, was unausweichlich ist
Politik

Ermöglichen, was unausweichlich ist

Die Gegner des Fortschritts sind einmal mehr in den Startlöchern. Mitte April haben Gentech-Kritiker eine Volksinitiative angekündigt, welche allfällige Lockerungen des bestehenden Gentech-Moratoriums unmöglich machen soll. Die genaue Formulierung ist noch nicht bekannt, aber die Äusserungen der Exponenten machen klar, dass die Totalblockade in Sachen moderner Pflanzenzüchtung in der Verfassung verankert werden soll.

Grundsatzentscheid der EU für neue Züchtungsmethoden mit Stolpersteinen
Politik

Grundsatzentscheid der EU für neue Züchtungsmethoden mit Stolpersteinen

Das EU-Parlament hat sich am 7. Februar dafür ausgesprochen, dass in der EU die neuen genomischen Züchtungsmethoden zugelassen werden sollen. Die Abgeordneten stimmten mit 307 zu 263 Stimmen bei 41 Enthaltungen für eine entsprechende Vorlage.

Weitere Beiträge aus Politik