«Der Schutz der Kulturen ist nicht mehr gewährleistet»

«Der Schutz der Kulturen ist nicht mehr gewährleistet»

Die Schweizer Landwirtschaft steckt beim Pflanzenschutz in der Klemme. Am Swiss-Food Talk vom 1. Juli 2025 schildern drei Produzentenvertreter, wie Verbote, fehlende Alternativen und lange Bewilligungsverfahren ihre Kulturen unter Druck setzen. Diese Entwicklungen haben spürbare Folgen für die Erträge, gefährden die Versorgungssicherheit und werfen grundlegende Fragen zur Zukunft der Schweizer Produktion auf.

Freitag, 4. Juli 2025

Die Schweizer Landwirtschaft steckt beim Pflanzenschutz in der Klemme. Am Swiss-Food Talk vom 1. Juli 2025 schildern drei Produzentenvertreter, wie Verbote, fehlende Alternativen und lange Bewilligungsverfahren ihre Kulturen unter Druck setzen. Diese Entwicklungen haben spürbare Folgen für die Erträge, gefährden die Versorgungssicherheit und werfen grundlegende Fragen zur Zukunft der Schweizer Produktion auf.


Zwischen Anspruch und Realität

Weniger Pestizide, mehr Ökologie und der Ruf nach regionalen Lebensmitteln: Während der Bund den Inlandkonsum fördern will, geraten Produzenten zunehmend unter Druck. Ihnen fehlen die nötigen Mittel, um Obst, Gemüse und Reben wirksam zu schützen. Neue Pflanzenschutzmittel stehen teils seit über einem Jahrzehnt im Zulassungsstau – während sich die Probleme auf dem Feld weiter verschärfen.

Immer mehr bewährte Pflanzenschutzmittel verschwinden vom Markt, während neue Wirkstoffe über Jahre auf ihre Zulassung warten. Der politische und regulatorische Druck nimmt zu – ebenso jedoch die Bedrohung durch Schädlinge, Pflanzenkrankheiten und Wetterextreme. Die Folge: Viele Produzenten zweifeln zunehmend an der Zukunft einer tragfähigen Inlandproduktion. Und diese Praktikersicht darf nicht länger ignoriert werden.


Ohne Notfallzulassungen keine Schweizer Zwetschgen mehr

Edi Holliger, Vizedirektor des Schweizer Obstverbands (SOV), schlägt Alarm. Weil der Wirkstoff Fenoxycarb 2023 keine Notfallzulassung erhielt, sei es zu massiven Ernteausfällen gekommen: «Über die Hälfte der Zwetschgenernte wurde vom Pflaumenwickler vernichtet – in unbehandelten Anlagen sogar 100 Prozent.» Auch bei Quitten sei der wirtschaftliche Anbau durch den neu auftretenden Pfirsichwickler kaum noch möglich. Die altbekannte Kirschessigfliege breite sich zunehmend auf Hochstammbäume aus – mit Folgen für die Biodiversität und Kulturlandschaft, weil Hochstammbäume gefällt werden. «Ein nachhaltiger Schutz der Kulturen ist nicht mehr gewährleistet», warnt Holliger. Der Druck auf die Produzenten steige – ebenso wie die unerwünschte Abhängigkeit von Importen.

Referat Edi Holliger

Klimastress und fehlende Mittel

Daniel Etter, Vizepräsident von Vignoble Suisse und Bio-Winzer, schildert offen die zunehmenden Herausforderungen im Weinbau. «Ich musste 15-mal spritzen, um meine Ernte zu retten», so Etter – ausschliesslich mit Kupfer und Schwefel, wie es der Biolandbau vorschreibt. Der Aufwand stehe jedoch kaum mehr in einem vertretbaren Verhältnis zum Ertrag. 2021 habe er ganze Parzellen gar nicht gelesen. Etter fordert deshalb eine maximale Zulassungsfrist von zwölf Monaten für neue Wirkstoffe. Zudem müsse auch über neue Züchtungstechnologien als Teil der Lösung offen diskutiert werden.

Referat Daniel Etter

Ein Spiel mit hohem Risiko

Ruedi Fischer, langjähriger Präsident der Vereinigung Schweizer Kartoffelproduzenten, der einen 100ha Betrieb bewirtschaftet, zeigt auf, wie fragil der heutige Erfolg tatsächlich ist. Zwar liegt der Selbstversorgungsgrad bei Kartoffeln derzeit bei rund 80 Prozent – doch das Fundament wankt. Mit Produktionskosten von 12’000 Franken pro Hektar sei der Anbau ein Hochrisikogeschäft. Gleichzeitig wachse der regulatorische Druck – etwa durch das digitale Nachweissystem digiFLUX. «Wer solche Risiken trägt, braucht verlässliche Rahmenbedingungen», forderte Fischer. Stattdessen würden fragwürdige Importe erleichtert, während die heimische Produktion zunehmend behindert werde. «Beim Pflanzenschutz ist das Augenmass verloren gegangen.»

Referat Ruedi Fischer

Ungleichbehandlung, fehlende Planbarkeit

In der anschliessenden Diskussion weist Regina Ammann von Syngenta auf eine systemische Schieflage im Zulassungsverfahren hin. Verliert ein Wirkstoff in der EU die Zulassung, übernehmen die Schweizer Behörden diesen Entscheid automatisch. Umgekehrt gilt das nicht: Neue Wirkstoffe müssen hierzulande das gesamte Verfahren durchlaufen – selbst wenn sie in mehreren EU-Ländern bereits bewilligt sind. Die parlamentarische Initiative von Nationalrat Bregy will dieses Ungleichgewicht beseitigen. Sie fordert, dass die Schweiz Zulassungsentscheide aus der EU oder von Nachbarländern anerkennt. Das würde den Behörden die Erledigung der Hunderten hängiger Gesuche ermöglichen und im Zulassungsverfahren Ressourcen freimachen – etwa für Produkte, die spezifisch auf die Schweizer Landwirtschaft zugeschnitten sind. Anders als immer wieder behauptet, würde durch die parlamentarische Initiative kein Pflanzenschutzmittel «automatisch» in den Schweizer Markt kommen. Die behauptete «Flutwelle» wird es nicht geben, denn es braucht immer eine zulassungswillige Firma, die den Aufwand und die Kosten für den kleinen Schweizer Markt nicht scheut, um ein Pflanzenschutzmittel durch die Bewilligung zu kriegen. Doch für die Firmen würde sich durch die klaren Behandlungsfristen die Rechtssicherheit massiv erhöhen. Denn welche andere Branche reicht Zulassungsgesuche für ihre Produkte ein und weiss dann nicht, ob sie diese in 3, 5 oder 10 Jahren effektiv verkaufen kann?

Der Swiss-Food Talk macht klar: Ohne wirksamen Pflanzenschutz ist weder eine nachhaltige noch eine sichere Lebensmittelproduktion möglich. Die Landwirtschaft steht unter zunehmendem Druck – von Wetter, Markt und Politik. Alle Akteure der Wertschöpfungskette sind gefordert: Die Politik muss für verlässliche Verfahren sorgen, die Behörden für schlanke Prozesse – und die Gesellschaft für ein realistisches Verständnis der Produktion unserer Lebensmittel. Denn Selbstversorgungsgrad beginnt nicht im Laden-Regal, sondern auf dem Feld. Und dort braucht es den konkreten Schutz der Kulturen.

Ganzer Swiss-Food Talk vom 1. Juli

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