
Dieses Insekt bedroht deutsche Bauern existenziell
Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich rasant aus und bedroht Kartoffeln, Zuckerrüben und andere Kulturen. Ihre bakteriellen Erreger führen zu massiven Ernteverlusten, besonders in Deutschland. Landwirtschaftsverbände fordern nun dringend Massnahmen – darunter Notfallzulassungen von wirksamen Pflanzenschutzmitteln.
Montag, 20. Januar 2025
Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich mit alarmierender Geschwindigkeit in deutschen Anbaugebieten aus. Das Insekt bedroht zunehmend Kartoffeln, Zuckerrüben und andere Gemüsekulturen. Wie die «Agrarzeitung» berichtet, hat sich die Lage in den letzten Wochen weiter zugespitzt. Landwirtschaftsverbände und Experten schlagen nun Alarm: Es drohen massive Ertrags- und Qualitätsverluste – und bisher fehlt es an effektiven Handlungsstrategien. «Wir brauchen dringend Lösungsmöglichkeiten, um die befallenen Kulturen, wie die Kartoffeln, im Anbau zu halten. Es steht nicht weniger als die Ernährungssicherheit und der Verlust regionaler Kreisläufe auf dem Spiel», warnt Olaf Feuerborn, Vorsitzender der Union der deutschen Kartoffelwirtschaft (UNIKA).
Die Zikade kann zwei gefährliche Krankheitserreger in sich tragen: den Stolbur-Erreger und ein Proteobakterium. Diese können massive Ertrags-, Qualitäts- und Lagerverluste verursachen – bis hin zum Totalausfall bei Kartoffeln. Besonders betroffen sind die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz. Die betroffene Fläche stieg allein bei den Zuckerrüben von 40’000 Hektar im Jahr 2023 auf mindestens 75’000 Hektar im vergangenen Jahr – das entspricht rund 20 Prozent der gesamten deutschen Rübenanbaufläche.
Forderung nach wirksamen Pflanzenschutzmitteln
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, zeigte sich nach Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) enttäuscht: «Wir brauchen jetzt Lösungen für 2025, und die können kurzfristig nur in der Notfallzulassung von wirksamen Pflanzenschutzmitteln liegen.» Die Landwirtschaftsverbände fordern zudem verstärkte Forschung und ein konsequentes Monitoring, um die Verbreitung der Zikade besser zu kontrollieren.
Neben Sofortmassnahmen müssen zur Bekämpfung der Zikade jedoch auch langfristige Lösungen ran. Feuerborn betont: «Eine Reduzierung auf ackerbauliche oder züchterische Massnahmen reicht nicht aus, um der existenziellen Bedrohung der Anbaubetriebe zu begegnen. Wir brauchen ein strategisch abgestimmtes Massnahmenbündel, auch in Gebieten, in denen die Zikade heute noch nicht auftritt.»
Schweiz ebenfalls betroffen
Nicht nur in Deutschland ist die Schilf-Glasflügelzikade ein Problem. Auch in der Schweiz breitet sich der Schädling aus und sorgt insbesondere im Kartoffelanbau für erhebliche Qualitätsprobleme. Seit 2017 gibt es in der Westschweiz Berichte über von der Zikade bedrohte Kartoffeln, 2023 wurde erstmals das Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus nachgewiesen.
«Seit zwei Jahren haben wir vermehrt Qualitätsprobleme bei Kartoffeln, vor allem bei Verarbeitungskartoffeln für Chips oder Pommes frites», wird Stefan Vogel, Agrarwissenschaftler und Kartoffelforscher an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL in einem Bericht von «SRF» zitiert. In der Schweiz gehe man von Ertragseinbussen von bis zu 30 Prozent aus.
Eine aktuelle Studie der Berner Fachhochschule untersucht, wie sich die Schäden bei Zuckerrüben durch Fruchtfolgegestaltung reduzieren lassen. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Anbau von SBR-unempfindlichen Zuckerrüben (Syndrome Basses Richesses; Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) und der Verzicht auf Herbstkulturen wie Winterweizen positive Effekte hat. Dennoch bleibt die Herausforderung gross.
Besonders problematisch sind Auswirkungen auf die Backqualität bei Kartoffeln: In 152 getesteten Ernteproben wurden 74 Prozent positiv auf das Proteobakterium getestet. Bei 21 Prozent der Proben fiel der Backtest ungenügend aus, wobei es unterschiedliche Anfälligkeiten bei den Sorten gab. Wie Vogel erläutert, kommt es dabei beim Frittieren der Kartoffeln zu einer Braunfärbung, die nicht erwünscht ist.
Es braucht innovative Ansätze
Der deutsche Journalist René Schaal bringt das Problem in einem Kommentar in der Agrarzeitung auf den Punkt: «Klimawandel und Globalisierung werfen ihre Schatten voraus: Immer mehr invasive Schädlinge machen sich auf deutschen Äckern breit.» Die Schilf-Glasflügelzikade sei dabei kein Einzelfall. Die Herausforderung: Eine effektive Bekämpfung ist kaum möglich.
Schuld daran sind zunehmende Regulierung und wenig Raum für Innovation. «Die Chemiekeule steht aufgrund immer strikterer Regulierung kaum noch zur Verfügung. Zugelassene Insektizide werden sukzessive weniger, biologische Alternativen stecken noch in den Kinderschuhen, und die Resistenzzüchtung kann auf die sich ständig ändernde Bedrohungslage nicht schnell genug reagieren», so Schaal weiter.
Die Konsequenz: Ohne schnelle und nachhaltige Lösungen wird die Zikade nicht die einzige Bedrohung für die Landwirtschaft bleiben. Landwirte brauchen stabile Rahmenbedingungen, Forschung, praxistaugliche innovative Ansätze und internationale Zusammenarbeit, um sich gegen invasive Schädlinge zu wappnen. Konkret nennt Schaal Ansätze wie die Förderung natürlicher Feinde oder gentechnisch veränderte Pflanzen.
Fest steht: Der Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade ist ein Wettlauf gegen die Zeit, der nur mithilfe von wirksamen Pflanzenschutzmitteln gewonnen werden kann. Nun ist die Politik gefordert, rasch zu handeln. Nur so kann der Schaden für die Landwirtschaft so gering wie möglich gehalten werden.
Invasive Schädlinge auf dem Vormarsch
Invasive Schädlinge stellen eine wachsende Bedrohung für die Schweizer Landwirtschaft und Biodiversität dar. Durch globalen Handel, Klimawandel und Reiseverkehr gelangen immer mehr fremde Arten in die Schweiz und richten erhebliche Schäden an Kultur- und Wildpflanzen an.
Beispiele dafür sind der Japankäfer, der sich rasant ausbreitet und einheimische Kulturpflanzen gefährdet, sowie die Asiatische Hornisse, die eine ernste Bedrohung für die Honigbienen darstellt. Weitere invasive Schädlinge wie die Edelkastaniengallwespe, die Kirschessigfliege oder der Asiatische Laubholzbockkäfer machen Landwirten und Naturschützern zunehmend Sorgen.
Der Schutz von Pflanzen vor diesen Bedrohungen bleibt eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Effektive Pflanzenschutzmittel, praxistaugliche Bekämpfungsstrategien und ein konsequentes Monitoring sind essenziell, um die Ausbreitung dieser Schädlinge einzudämmen.
Sources
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