
Die EU-Kommission drückt bei der Genom-Editierung aufs Gaspedal
Es kommt Schwung in die europäische Gentech-Debatte. Ein wissenschaftliches Gutachten, das von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde, unterstreicht die Notwendigkeit zur Anpassung des Gentechnikrechts. Moderne Präzisionszüchtung wie die Genom-Editierung weiterhin den bestehenden GVO-Regelungen zu unterstellen, ist nicht mehr zeitgemäss. Die Daten sprechen eine eindeutige Sprache. Kommt nun auch Bewegung in die Schweizer Gentech-Debatte?
Donnerstag, 7. Oktober 2021
Das Wichtigste in Kürze:
- Die EU-Kommission möchte das Gentechnikrecht dem wissenschaftlichen Fortschritt anpassen.
- Neue Technologien wie die Genom-Editierung sollen künftig nicht mehr unter die restriktive Gesetzgebung fallen.
- Eine ähnliche Debatte täte auch der Schweiz gut. Schliesslich spielen neue Technologien wie die Präzisionszüchtung beim Umweltschutz eine wichtige Rolle.
2018 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Pflanzen, die mittels der Ansätze der Genomeditierung gezüchtet wurden unter das seit 20 Jahre in der EU geltende Gentechnik-Recht fallen. Damit zog der EuGH just in dem Moment die Handbremse, in dem die neuen Züchtungsverfahren auch innerhalb der EU zu ihrem Siegeszug ansetzten. Das EuGH-Urteil war für viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine Enttäuschung, da es de facto einem Anbau- und Anwendungsverbot gleichkommt.
Neuer Schwung in der Gentech-Debatte
Nun scheint es innerhalb der EU trotz des EuGH-Urteils beim Thema Genom-Editierung aber wieder voranzugehen, wie das Portal transgen.de berichtet. Zuerst wurde – auf Druck kleinerer Mitgliedstaaten – von der EU-Kommission ein wissenschaftliches Gutachten zum Thema in Auftrag gegeben. Dieses wurde unlängst veröffentlicht. Und die darin dargelegten Ergebnisse liessen es nicht mehr zu, noch länger mit Anpassungen im Gentechnikrecht zuzuwarten. Die Datenlage war schlicht zu eindeutig.
Präzisionszüchtung für eine nachhaltigere Landwirtschaft
Und so hat nun die EU-Kommission Ende September einen verbindlichen Fahrplan für eine Gesetzesinitiative lanciert. Die Gentechnik-Gesetze sollen an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden. Diese jüngste Entwicklung ist auch vor dem Hintergrund der zwei Kommissions-Initiativen «Green Deal» und «Farm to Fork» zu sehen. In deren Rahmen soll die europäische Landwirtschaft nachhaltiger und vor allem auch klimaschonender werden. Die neuen Züchtungsmethoden sollen hier einen grossen Beitrag leisten: Pflanzen, die gegenüber Krankheiten oder den Auswirkungen des Klimawandels resistenter sind, können zu einer ressourceneffizienten und nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen.
Dies hat man unlängst auch in Grossbritannien erkannt. Dort hat die Regierung angekündigt, man wolle einfach editierte Pflanzen nicht länger unter das geltende Gentechnikgesetz stellen, sofern diese von herkömmlich gezüchteten nicht unterscheidbar sind. Eine Überarbeitung des Gentechnik-Rechts soll folgen.
Und die Schweiz?
Es wäre zu wünschen, dass dieser Schwung auch von der Schweizer Politik zum Anlass genommen wird, die eigene Gentechnikgesetzgebung auf die Höhe der Zeit zu bringen. Leider scheint man hierzulande aber lieber im Status Quo zu verharren und läuft Gefahr, sich ins wissenschaftliche Abseits zu manövrieren. Im September hat sich der Nationalrat für einen Verlängerung des bestehenden Gentechnik-Moratoriums ausgesprochen und damit auch dafür, die neuen Züchtungsmethoden bis 2025 zu verbieten: Ein Fehlentscheid. Die Dynamik innerhalb der EU und Grossbritannien zeigt dies deutlich: Dort hat man offenbar die Zeichen der Zeit erkannt. Es braucht eine Liberalisierung für die Präzisionszüchtung – auch in der Schweiz. Dies gäbe den hiesigen Forscherinnen und Forscher eine Perspektive und der Landwirtschaft die nötigen Mittel, um auch in schwierigen Jahren nachhaltig anbauen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass der Ständerat in der kommenden Wintersession etwas über den Tellerrand schaut und die Dynamik im nahen Ausland in die Beratung mitaufnimmt.
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