Die genomischen Züchtungsmethoden bekommen keine Chance, sich zu beweisen
Moderne genomische Züchtungsmethoden gelten rechtlich als Gentechnik – und sind deshalb in der EU bis heute faktisch blockiert. Dabei essen wir seit Jahrzehnten gentechnisch veränderte Pflanzen, nur unter dem Etikett «klassische Mutagenese». Die neuen, präziseren Verfahren werden strenger reguliert als die alten, obwohl sie wissenschaftlich als sicherer gelten. Ein Widerspruch, der dringend korrigiert werden müsste. Die EU geht mit gutem Beispiel voran.
Donnerstag, 4. Dezember 2025
Die modernen genomischen Verfahren sind Gentechnik. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden – mit der Folge, dass so gezüchtete Pflanzen in der EU bis heute nicht verkauft werden dürfen.
Die Realität ist jedoch: Wir essen seit Jahrzehnten gentechnisch veränderte Lebensmittel, nur unter einem anderen Namen. Klassische Mutagenese, also die gezielte Veränderung des Erbguts durch Strahlung oder chemische Einwirkungen, wird seit den 1950er-Jahren eingesetzt. Zahlreiche Kulturpflanzen inklusive Bio-Sorten – von Weizen über Kartoffeln bis zu Karotten – stammen aus dieser Art der Züchtung.
Wissenschaftlich ist längst unstrittig: Auch klassische Mutagenese ist Gentechnik. Sie verändert direkt das Genom der Pflanze und unterscheidet sich im Prinzip nicht von modernen Methoden – nur sind die alten Verfahren unpräziser und weniger vorhersagbar. Der Europäische Gerichtshof hat dies 2018 (C-528/16) bestätigt: Mutagenese fällt grundsätzlich unter die Gentechnik-Gesetzgebung. Ausgenommen sind nur Verfahren mit «langer Geschichte sicherer Anwendung».
Genau hier beginnt die Inkonsistenz: Die alte Mutagenese gilt als sicher, weil sie lange genutzt wurde, obwohl sie viel mehr und unkontrollierbare Veränderungen im Genom hervorruft. Den neuen, präziseren Methoden wird diese Möglichkeit jedoch verwehrt – sie dürfen gar nicht erst auf den Markt und können ihre Sicherheit somit nie zeigen. Dabei ist die Forschung klar: Moderne Genome-Editing-Verfahren sind hochpräzise, gut kontrollierbar und gelten oft als unbedenklicher als klassische Mutagenese.
Mit anderen Worten: Uns begleiten die Auswirkungen der klassischen Mutagenese seit Jahrzehnten – auch im Bio-Regal. Die neuen, präziseren Methoden wären potenziell sicherer, werden aber härter reguliert, weil ihnen die «lange Erfahrung» fehlt. Das ist nicht nur unlogisch, sondern eine regulatorische Schieflage, die wissenschaftlichen Erkenntnisse ignoriert und dringend notwendige Innovationen für die Pflanzenzucht ausbremst.
Kurz gesagt: Gentechnik liegt seit Langem auf unserem Teller – das bestätigt sowohl die Wissenschaft als auch das EuGH-Urteil. Die Ungleichbehandlung der neuen Verfahren zeigt, wie sehr Politik und Regulierung hinter der Realität zurückliegen. Höchste Zeit für einen unverstellten Blick auf die Realität und eine Korrektur. In der EU hat man nun endlich die Weichen gestellt, die neuen Züchtungsmethoden könnten schon bald zugelassen werden und deren Produkt ohne Kennzeichnungspflichten verkauft werden. Höchste Zeit, dass die Schweiz jetzt mitzieht.
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