Ermöglichen, was unausweichlich ist

Ermöglichen, was unausweichlich ist

Die Gegner des Fortschritts sind einmal mehr in den Startlöchern. Mitte April haben Gentech-Kritiker eine Volksinitiative angekündigt, welche allfällige Lockerungen des bestehenden Gentech-Moratoriums unmöglich machen soll. Die genaue Formulierung ist noch nicht bekannt, aber die Äusserungen der Exponenten machen klar, dass die Totalblockade in Sachen moderner Pflanzenzüchtung in der Verfassung verankert werden soll.

Donnerstag, 9. Mai 2024

Jahrzehntelang konnten sich diese Kreise auf Verwaltung und Politik verlassen: Die Verlängerung des Gentechmoratoriums alle X Jahre war fast schon ein ritueller Akt. Aus dem anfänglichen Moratorium wurde ein Providurium. Doch seit der Forschung mit der Genschere auch in der Pflanzenzucht Quantensprünge gelungen ist, sind alte Gewissheiten ins Wanken gekommen.

Die Chancen gezielter genomischer Züchtungen sind angesichts der Herausforderungen von Klimawandel und Bevölkerungswachstum auch in Bundesbern nicht mehr zu negieren: Der Bundesrat hat unlängst vom Parlament den Auftrag erhalten, noch dieses Jahr einen Gesetzesentwurf vorzulegen, wie er die Zulassung der neuen Pflanzenzüchtungsverfahren regeln will. In der EU liegt ein solcher Text bereits vor. Pflanzen und Saatgut, welchen keine artfremden Gene eingefügt wurden, sollen weitestgehend zugelassen werden.


Neue Züchtungstechnologien nicht Ideologen überlassen

Ein neuer Ordnungsrahmen steht also vor der Tür. Wie Jürg Niklaus, Präsident des Vereins «Sorten für Morgen», in einem Interview mit dem «Schweizer Bauer» sagt, sei trotzdem noch «viel Aufklärungsarbeit» seitens der Forschung und der Züchter zu leisten. Dies ist gerade auch mit Blick auf die erwähnte Initiative unabdingbar.

Eine wichtige Rolle kommt hierbei Forschern wie Urs Niggli, Bio-Pionier und langjähriger Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) zu. Dieser schreibt in der gleichen Ausgabe, man solle das Thema der neuen Züchtungsmethoden nicht Ideologen überlassen: Als Naturwissenschaftler verstehe er nicht, warum die neuen Ansätze der Pflanzenzucht anders beurteilt werden sollten, als man dies bei vergangenen Eingriffen in der Pflanzenzüchtung getan habe. Schliesslich würden zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Risiken für Mensch und Umwelt bei den neuen Züchtungsmethoden «nicht anders oder grösser sind als mit den etablierten, traditionellen Züchtungsmethoden».

In seinem Übersichtsartikel redet Niggli Klartext: «Man kann es drehen und wenden, wie man will. Es braucht auch neue agronomische und technologische Lösungen, um die Produktion auf einem hohen Niveau halten zu können und natürliche Ressourcen wie Boden, Wasser, Luft und Biodiversität zu schonen.»

Dieses klare Urteil ist gerade für jemanden, der sein gesamtes Forscherleben der Bio-Landwirtschaft gewidmet hat, bemerkenswert. Eine gänzliche Abkehr vom Bio-Denken ist Nigglis Artikel indes nicht: Theoretisch sei es möglich, den Biolandbau global auf 50 Prozent auszudehnen, ohne dass jemand Hunger leiden müssen, schreibt er weiter. Dieses «Biopaket» (mehr Bio, weniger Fleisch essen und weniger Abfälle hinterlassen») sei grundsätzliche vernünftig, und es funktioniere. «Aber es ist in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht durchsetzbar», deshalb müsse man es aus der Liste möglicher Lösungen für die Welternährung streichen, so Niggli.


Vorteile von neuen Züchtungstechnologien liegen auf der Hand

Man wünschte sich, auch andere Exponenten der Bio-Landschaft hätten den Realitätssinn Nigglis. Denn gerade auch mit Blick das gentechkritische Milieu schreibt er: «Die Horrorvisionen, welche mit den Begriffen Monopolisierung, Biopiraterie, Patentierung, Sorten aus dem Labor, Verschmutzung durch Pollenflug oder Monokulturen im industriellen Massstab genährt werden, werden nicht eintreten.»

Es bleibt zu hoffen, dass in der Schweizer Politik und Öffentlichkeit dieser nüchterne, sachliche Ton Schule macht. Erste Anzeichen dafür sieht auch Jürg Niklaus von «Sorten für morgen» gegenüber dem Schweizer Bauer: Er spüre eine gewisse Offenheit für die neuen Züchtungsmethoden, sobald man über deren Vorteile spreche. Und diese liegen auch gemäss dem breiten wissenschaftlichen Konsens auf der Hand.

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