«Ohne Gentechnik» geht gar nicht(s)!

«Ohne Gentechnik» geht gar nicht(s)!

Politiker und Ökoverbände schüren seit Jahren unnötig Ängste vor einer Technologie, die schon seit Jahrzehnten dafür sorgt, dass Ressourcen und Umwelt geschont und Nahrungsmittel und Kosmetika besser und verträglicher werden. Es ist an der Zeit, mit dieser Verbrauchertäuschung Schluss zu machen.

Sonntag, 27. Juli 2025

Allein in Deutschland wird Tag für Tag in fast 7000 Laboren gentechnisch gearbeitet, mit Viren, Bakterien, Pflanzen und Tieren; hinzu kommen Tausende von Laboren und Untersuchungsämtern, die Gentechnik für diagnostische und analytische Zwecke nutzen. Gentechnik ist Alltag für Hunderttausende Beschäftigte.

Diese Menschen erleben tagtäglich einen Affront: Gehen sie in den Supermarkt, leuchten ihnen die grünen Aufkleber «ohne Gentechnik» auf Milchverpackungen, Joghurts, Eiern, Fleisch, Nudeln und Hunderten weiteren Alltagsprodukten entgegen – als wäre Gentechnik schädlich und gefährlich und das, was sie tun, in höchstem Masse fragwürdig.

Fragt man beim Einkauf Kunden oder auch den Marktleiter, was das Siegel «Ohne Gentechnik» denn bedeutet, wissen die meisten es nicht. «Da sind keine Gene drin» oder «Die Kühe/Hühner/Eier sind nicht genmanipuliert» lauten die Standardantworten. Aber alle sind sich einig: «Ist wohl irgendwie gesünder oder besser, sonst stünde es ja nicht drauf.» Die Skepsis gegenüber Gentechnik ist tief verwurzelt.

Kein Wunder, denn die Öffentlichkeit wurde jahrzehntelang mit Worten wie «genverseucht», «genmanipuliert», «Gensoja» und «Frankensteinmais» traktiert und kaum ein Artikel über Gentechnik kommt ohne das «Biohazard»-Warnzeichen und Fotos aus, in denen Monster-Maiskolben oder Aktivisten in ABC-Schutzanzügen vor Getreidefeldern gezeigt werden.


Gentechnik ist Alltag

Mit der Realität hat das wenig zu tun. Gentechnik ist aus Industrie und Handwerk ebensowenig wegzudenken wie aus Forschungslaboratorien und ganz normalen Haushalten.

Schauen wir doch mal das Leben der fiktiven Familie Müller an: Gentechnik findet sich morgens schon im Badezimmer, wenn Vater, Mutter und die Kinder ins Bad gehen, duschen und sich die Zähne putzen. Zahlreiche Kosmetikprodukte – Duschgele, Badezusätze, Flüssigseifen, Feuchtigkeitscremes usw. – enthalten Grundstoffe, die durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen erzeugt wurden: Laurinsäure, Glyzerin, Stärke und Vitamine, die die Haut feucht halten, verjüngen oder vor Schäden schützen sollen. Sogar das Toilettenpapier wurde mit Gentechnik hergestellt: Enzyme aus gentechnisch veränderten Bakterien bleichen das Papier ganz ohne Chlor, bauen das Pech im Holz ab oder zerlegen beim Recyclingpapier die Druckerschwärze des Altpapiers.

Mit der Kleidung geht es weiter. Das Wetter ist etwas kühl und so entscheidet die Tochter sich für die neuen stonewashed Jeans und ihren Lieblings-Baumwollpulli. In beiden steckt Gentechnik, selbst wenn die Baumwolle nicht aus gentechnisch veränderten Pflanzen gesponnen wurde: Der Ausbleicheffekt der Jeans, früher unter Einsatz von Steinen und viel Wasser erzeugt (600 Gramm Steinabrieb pro Hose!), geschieht heute schonend mit gentechnisch hergestellten Enzymen. Dabei sinken die umweltrelevanten Kosten um mehr als 50 Prozent, Schadstoffe fallen fast gar keine mehr an.

Gewaschen wurde der Pulli, dessen Gewebe schon bei der Herstellung mit gentechnisch veränderten Enzymen in Berührung kam (bei der Entschlichtung), mit Waschmitteln, die dank gentechnisch hergestellter Enzyme Flecken zuverlässig auch ohne Fleckenentferner und bei tiefen Temperaturen verschwinden lassen. Gentechnik in Waschmitteln spart hochgerechnet pro Jahr allein in Deutschland 87 Milliarden Liter Wasser und 7,6 Milliarden kWh Energie. Mehr noch: die Enzyme glätten die Fasern und verhindern so das Pilling. Damit bleibt der Lieblingspulli länger ansehnlich und damit länger in Gebrauch. Auch die Lederjacke des Vaters wurde gentechnisch behandelt, um das Gerben zu erleichtern und das Leder weicher zu machen. Gentechnisch hergestellte Enzyme wie Proteasen und Lipasen entfernen Haar- und Gewebereste. Sie reduzieren damit die Benutzung von aggressiven Chemikalien und den Wasserverbrauch zum Spülen und Reinigen.

Auch beim Frühstück ist Gentechnik Alltag: Brot, Käse, Wurst, die veganen Aufstriche, Fruchtsäfte usw. kommen längst mit ihr in Berührung. Brot- und Brötchenteig wird mit Cystein knetfähiger und luftiger gemacht – früher wurde diese Aminosäure aus Haaren, Federn oder Borsten hergestellt, heute stammt sie aus Edelstahltanks, in denen gentechnisch massgeschneiderte Mikroorganismen sie produzieren. Solche Mikroben produzieren auch das Labferment zur Käseherstellung – früher war man dafür auf Kälbermägen vom Schlachthof angewiesen. Gentechnisch produzierte Enzyme machen die Wurst zart und klären den Fruchtsaft. Im Übrigen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Tiere, die zu Wurst verarbeitet wurden, im Laufe ihres Lebens Futter aus Pflanzen gefressen haben, deren Eigenschaften mit Gentechnik verändert wurden.

Gentechnisch produzierte Stoffe stecken aber auch in den veganen Produkten, die die Tochter bevorzugt: Enzyme, Aromen, Vitamine, Emulgatoren sowie Casein, Häm, Ovalbumin werden von gentechnisch veränderten Bakterien und Hefen erzeugt.

Die Diätmilch, die ihr laktoseintoleranter Bruder trinkt, wurde mit gentechnisch produzierten Enzymen lactosefrei gemacht. Und auch der Süssstoff des Grossvaters, der seinen Diabetes mit Insulin aus gentechnisch modifizierten Bakterien behandelt, besteht aus gentechnisch hergestellten Aminosäuren.

Von den etwa 400 Enzymen, die in der EU in der Lebensmittelindustrie zugelassen sind, wird derzeit knapp die Hälfte von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Der Umsatz mit gentechnisch erzeugten Enzymen beläuft sich in Europa auf etwa 460 bis 640 Millionen Euro.


Auto und Verkehr

Gentechnik begleitet die Familie auch auf dem Weg zur Arbeit und in die Schule. Das Bioethanol im Benzin und der Biodiesel des Busses sind ohne gentechnisch produzierte Enzyme, die Stroh und Holzabfälle zerlegen, nicht herzustellen. Auch wenn das Bioethanol aus Energiepflanzen wie Mais oder Zuckerrüben stammt, sind solche Enzyme im Spiel.

Selbst das Elektroauto, das die Familie demnächst anschaffen will, ist nicht ohne gentechnisch produzierte Enzyme und Komponenten: Kupfer, Lithium, Kobalt und Nickel werden mit biosynthetischen Tensiden oder mikrobiellen Chelatoren gereinigt, Innenraumverkleidungen, Armaturen und Dämmstoffe stammen aus gentechnisch produziertem Bioplastik und die Schmierstoffe enthalten gentechnisch erzeugte Additive. Sogar in der Akkuproduktion kommen bei Reinigungs- und Beschichtungsverfahren gentechnisch erzeugte Enzyme oder Chemikalien zum Einsatz.


Mangelnde Transparenz

Kennzeichnungspflichtig sind all diese Produkte nicht, denn es sind in ihnen keine Reste der verwendeten Organismen mehr vorhanden. Auch Milch, Fleisch oder Eier von Tieren, die Futter aus gentechnisch gezüchteten Mais- oder Sojapflanzen gefressen haben, müssen nicht gekennzeichnet werden, denn weder in der Milch noch in den Eiern oder dem Fleisch finden sich Reste dieser Pflanzen.

Das Label «ohne Gentechnik» hat also keinerlei Bedeutung, denn auch in den Produkten, die im Lauf der Produktion mit Gentechnik in Berührung gekommen sind, ist selbst mit der aufwendigsten Analytik keine Spur davon mehr nachweisbar.

Hinzu kommt: Die Tiere, von denen die Milch, der Joghurt, die Eier oder das Fleisch «ohne Gentechnik» stammt, können durchaus Futter «mit Gentechnik» erhalten haben. Es gilt nur eine Karenzzeit, in der das Futter «ohne Gentechnik» gewesen sein muss. Diese Zeit beträgt je nach Tierart und Verwertung (Milch, Eier, Fleisch) einige Wochen oder Monate. In dieser Zeit müssen die Tiere herkömmliches Futter erhalten haben.

Auch andere Produkte mit dem Label «ohne Gentechnik» können Gentechnik enthalten. Die Organisation, die das Label vergibt, nutzt eine Gesetzeslücke: Das strenge Gentechnik-Gesetz der EU betrifft nämlich nur die neue Gentechnik, nicht die alte, bei der Gene durch radioaktive Strahlung oder Chemikalien verändert oder umgelagert werden. Die alte Gentechnik ist – höchstrichterlich bestätigt – juristisch genauso Gentechnik wie die neueren Verfahren, sie ist nur von allen Verpflichtungen wie Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit usw. ausgenommen. Paradoxerweise gilt die neue, präzise und gerichtete Gentechnik, bei der man die Veränderungen kennt, dagegen als riskant.


Alte und neue Gentechnik

Dahinter steckt das Problem, dass es diese Art von Gentechnik schon lange gab, als das Gesetz verabschiedet wurde. Mit ihr wurden in den Jahrzehnten zuvor so viele Obst- Gemüse- und Getreidesorten hergestellt, dass es darüber keinen Überblick gibt.

Begründet wurden die Ausnahmeregelungen freilich damit, dass die alte, ungerichtete Gentechnik seit Jahrzehnten ohne feststellbare Probleme angewandt werde. So erklärte man sie ohne Umschweife als sicher und unbedenklich, obwohl niemand bei diesen Pflanzen weiss, welche tausend oder sogar zehntausend Gene mit diesen Methoden wo und wie verändert wurden.

Bekannt ist z. B., dass alle Hopfensorten und fast alle Hartweizensorten mit dieser Art von Gentechnik hergestellt wurden. Streng genommen gibt es daher kein Bier «ohne Gentechnik» und wohl auch keine Nudeln «ohne Gentechnik» und es müsste stattdessen draufstehen «ohne neue Gentechnik».

Selbst im Bioladen liegen also jede Menge Produkte, die nur mithilfe von Gentechnik erzeugt werden konnten. Und wer mit einem Geldschein bezahlt, hält Gentechnik in der Hand: Die Scheine enthalten nämlich Baumwolle, die von gentechnisch veränderten Pflanzen stammt.

Autor des Artikels: Ludger Weß, promovierter Biochemiker und Wissenschaftsjournalist. Als profunder Kenner der agrarwissenschaftlichen Forschung engagiert er sich für eine faktenbasierte Debatte über neue Züchtungstechnologien.

Ähnliche Artikel

Gentechnik? Ja, natürlich.
Neue Züchtungstechnologien

Gentechnik? Ja, natürlich.

Als Konsument weiss man es oft nicht: In als gentechnikfrei beworbenen Produkten steckt längst Gentechnik drin. Gentechnik-Gegnern ist das ein Dorn im Auge. Doch es ist einfacher, den «Skandal» zu verschweigen – denn etwas, was wir schon lange essen, macht uns keine Angst mehr.

Mit falschen Erzählungen gegen Gentechnik
Neue Züchtungstechnologien

Mit falschen Erzählungen gegen Gentechnik

Um die grüne Gentechnik zu verunglimpfen, tauchen immer wieder Erzählungen in der öffentlichen Debatte auf, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Das Ziel ist jeweils politisch. Neuerdings sollen die falschen Behauptungen verhindern, dass die Regulierung neuer Züchtungsmethoden wie Crispr/Cas technologiefreundlich ausfällt.

Den Gegnern grüner Gentechnik fehlen Fakten. Ihre Antihaltung ist gefährliche Ideologie
Medien

Den Gegnern grüner Gentechnik fehlen Fakten. Ihre Antihaltung ist gefährliche Ideologie

Die Schweiz und die EU entscheiden 2025 über den Anbau mittels neuer Züchtungstechnologien veränderter Pflanzen. Eine Zulassung ist vernünftig – und längst überfällig. Denn Gentechnik ist bereits heute verbreitet.

«Der Schutz der Kulturen ist nicht mehr gewährleistet»
Wissen

«Der Schutz der Kulturen ist nicht mehr gewährleistet»

Die Schweizer Landwirtschaft steckt beim Pflanzenschutz in der Klemme. Am Swiss-Food Talk vom 1. Juli 2025 schildern drei Produzentenvertreter, wie Verbote, fehlende Alternativen und lange Bewilligungsverfahren ihre Kulturen unter Druck setzen und die Versorgungssicherheit gefährden.

Die Jagd nach Fehlinformationen fühlt sich an wie das Hüten von Katzen
Wissen

Die Jagd nach Fehlinformationen fühlt sich an wie das Hüten von Katzen

Science-Fiction hat die Angewohnheit, sich als wissenschaftliche Tatsache zu tarnen – bis jemand wie ich mit einem Eimer voller harter Fakten daherkommt. Aber seien wir ehrlich: Unsinn zu entlarven ist exponentiell aufwendiger als ihn zu produzieren. Jonathan Swift wusste das bereits 1710, und hier stehe ich nun, Jahrhunderte später, und sage immer noch meine Meinung, bevor das nächste virale Feuerwerk an Fehlinformationen losgeht.

Klimaschutz darf Ernährungssicherheit nicht gefährden
Wissen

Klimaschutz darf Ernährungssicherheit nicht gefährden

Die Landwirtschaft steht zunehmend unter Druck, klimaneutral zu wirtschaften. Doch wie kann dies gelingen, ohne die Ernährungssicherheit zu gefährden? Im Agrarpolitik-Podcast betont Hannah von Ballmoos-Hofer, Leiterin des Geschäftsbereichs Energie beim Schweizer Bauernverband, dass Klimaschutz wichtig ist, aber nicht auf Kosten der Ernährungssicherheit gehen darf.

Tradition und Innovation gehen beim Essen Hand in Hand
Wissen

Tradition und Innovation gehen beim Essen Hand in Hand

Die Studie «Decoding Food Culture» des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt, wie tief Esskultur unser Leben prägt. Deshalb gleicht es einem Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, um Veränderungen in der Ernährung zu bewirken.

Weitere Beiträge aus Wissen