Die Renaissance des Preises
In den vergangenen Jahren waren bei Detailhändlern Bio und Premiumprodukte angesagt. Die Umweltfreundlichkeit war für Konsumenten ein entscheidendes Kaufargument. Mit der Inflation ändert sich dies. Der Preis wird wieder wichtiger. Das zeigen die gestiegenen Umsätze bei Günstig-Labels. Nachhaltigkeit hat auch eine soziale und ökonomische Dimension.
Sonntag, 26. Februar 2023
«Auf den Bio- folgt der Billig-Boom» schreibt die «NZZ am Sonntag». Obwohl die Schweiz der Inflation bisher erstaunlich gut getrotzt hat, werden auch hierzulande viele Produkte teurer – insbesondere Lebensmittel. Im Vergleich zur offiziellen Inflation von 2,8 Prozent im Jahr 2022 schlugen Lebensmittel wie Eier um 14 Prozent, Käse um sechs Prozent und Brot um vier Prozent auf. Das spüren die Konsumentinnen und Konsumenten. Produkte in günstigen Preissegmenten werden beliebter. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, verzeichnen die beiden Günstig-Linien «M-Budget» der Migros sowie «Prix Garantie» von Coop deutliche Absatzsteigerungen. Bei Letzterer sei der Umsatz im Jahr 2022 im zweistelligen Bereich gewachsen. Und auch die Discounter Aldi und Lidl bestätigen «ein Umdenken hin zu preiswerten Produkten».
«Renaissance» des Preises
Die Entwicklung stellt in gewisser Hinsicht eine Zeitenwende dar. In den vergangenen Jahren bauten Grossverteiler ihr Bio- und Premiumangebot kontinuierlich aus. Mit der Inflation wird der Preis für die Konsumentinnen und Konsumenten gemäss einer Umfrage der Schweizer Einkaufslisten-App «Bring» mit Abstand zum wichtigsten Thema. Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, dass die steigenden Preise sie beschäftigen würden. Für bloss einen Drittel der Befragten ist die Umweltfreundlichkeit relevant. Das belegen auch die Verkaufszahlen von Bioprodukten. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, veröffentlicht Bio Suisse seine Verkaufszahlen zwar erst im April. Im nahen Ausland sind die Auswirkungen der Inflation auf Bioprodukte bereits sichtbar. Gemäss «Bayrischem Rundfunk» ist der Öko-Markt in Deutschland 2022 erstmals geschrumpft.
Preis und Nachhaltigkeit
Der Konkurs der Biokette Müller dürfte eine Folge dieser Entwicklung sein. Sie zeigt, dass die Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden – auch bei Ökoprodukten – an Grenzen stösst. Anders formuliert: Produkte können auf Dauer nur nachhaltig sein, wenn auch der Preis stimmt. Produkte, die zwar in gewissen Dimensionen ökologischer sind als andere, die sich aber niemand leisten kann, sind nicht nachhaltig. Die Annahme, dass nachhaltige Lebensmittel teurer sein dürfen, wird durch diese Entwicklung infrage gestellt. Darauf haben wir in unserem letzten Newsletter hingewiesen. Die Preise von Nahrungsmitteln können auch eine Folge von politischen Entscheidungen sein. Immer mehr Regulierungen für Lebensmittelhersteller und Konsumenten verteuern Lebensmittel ebenfalls. «Leider stehen die Zeichen derzeit eher auf mehr Dirigismus und Konsumentenerziehung. Das treibt die Preise weiter in die Höhe», schreibt die Präsidentin des Schweizerischen Konsumentenforums, Babette Sigg, dazu passend in der «NZZ».
Nachhaltigkeit muss umfassend gedacht werden.
Was in der Diskussion oft vergessen wird: Eine nachhaltige Landwirtschaft ist produktiv. Sie nutzt die ihr zu Verfügung stehenden Flächen ressourceneffizient. Ressourcen wie Land, Wasser, Dünger, Pflanzenschutzmittel, Arbeit und Geld sind so effizient wie möglich einzusetzen. Denn grundsätzlich ist jede landwirtschaftliche Produktion ein Eingriff in die Natur. Die Ansicht, dass Bio gut fürs Klima ist und die Biodiversität fördert, ist hingegen weit verbreitet. Doch sie erweist sich je länger je mehr als falsch. Der grössere Flächenverbrauch der Ökolandwirtschaft führt dazu, dass Flächen mit hoher Bindungswirkung für Treibhausgase nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine englische Studie kommt zudem zum Schluss, dass sich der grössere Flächenverbrauch schlechter auf die Artenvielfalt auswirkt als eine intensive Landwirtschaft auf geringeren Flächen. Eine ökonomisch und ökologisch betriebene Landwirtschaft muss gerade vor dem Hintergrund des globalen Bevölkerungswachstums produktiv sein, damit die Rechnung für die Bäuerinnen und Bauern aufgeht und Nahrungsmittel erschwinglich sind. Und damit der sozialen Dimension Rechnung getragen wird.
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