
Gesund essen propagieren und regionalen Anbau verhindern
Ernährungsempfehlungen und Landwirtschaftspolitik im Widerspruch: Der Bund will, dass wir mehr Früchte, Gemüse und pflanzliche Proteine essen. Gleichzeitig verunmöglicht er den Bauern jedoch den Schutz ihrer Kulturen.
Montag, 20. Januar 2025
Die Schweizer Ernährungspyramide wurde im Herbst 2024 aufdatiert. Sie zeigen den Weg zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung. Empfohlen werden viel Gemüse und Früchte, möglichst regional und saisonal, sowie pflanzliche Proteine wie Linsen, Bohnen und Kichererbsen. Fleisch und Fisch sollen hingegen sparsam konsumiert werden – höchstens zwei bis drei Portionen pro Woche. Die NZZ zeigt in einem lesenswerten Beitrag: Zwischen Theorie und Praxis klafft eine grosse Lücke.
Während das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) mit Nachdruck für pflanzliche Ernährung wirbt, sinkt die Inlandproduktion dieser Lebensmittel, wie die «NZZ» schreibt. Der Anbau von Gemüse, Obst, Getreide und Ölsaaten nimmt stetig ab. Statt gegenzusteuern, verschärft der Bund das Problem. Das gleiche Bundesamt entzieht den Bauern laufend Mittel, um ihre Kulturpflanzen zu schützen. Und moderne Pflanzenschutzmittel werden kaum zugelassen. Ende 2024 waren gemäss den Recherchen der «NZZ» 660 Anträge für neue Pflanzenschutzmittel anhängig. Das BLV ziert sich, auch wenn die Mittel in europäischen Nachbarländern den Bauern schon längst zur Verfügung stehen.
Schutzmöglichkeiten fehlen
Für die Bauern ist das eine Katastrophe. Ohne wirksame Mittel können sie ihre Felder kaum noch vor Krankheiten und Schädlingen schützen. Die Erträge schrumpfen, die Qualität leidet. Besonders dramatisch ist die Lage bei Zwiebeln und Kartoffeln. Pilzkrankheiten haben ganze Ernten zerstört, bei Biobauern waren die Verluste oft höher als 50 Prozent. Zusätzlich fördert der Bund den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel mit Subventionen. Das verstösst gegen sämtliche Prinzipien der Ressourceneffizienz und ist staatlich geförderter Foodwaste auf dem Acker. Viele Landwirte überlegen, den Anbau ganz aufzugeben. Auch bei anderen Kulturen fehlen Lösungen: Gegen Drahtwürmer, Blattläuse oder weisse Fliegen gibt es kaum wirksame Mittel.
Die Folgen: Der Import von Lebensmitteln nimmt zu. Produkte, die unter Bedingungen hergestellt werden, die hierzulande undenkbar wären, landen in den Regalen. Der ökologische Fussabdruck wird ins Ausland verlagert. Das Ziel einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft rückt in weite Ferne. Gemäss «NZZ» betont der Bund zwar, dass durch die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln die Umweltbelastung gesenkt werde. Doch die Rechnung geht nicht auf, denn es müssen alle eingesetzten Ressourcen berücksichtigt werden. Gleichzeitig gibt der Bund im Agrarbericht zu, dass gewisse Kulturen nur noch teilweise von Schadorganismen geschützt werden können. Eine Kapitulationserklärung.
Immer weniger Pflanzenschutzmittel
Auch kämpfen Landwirte mit Resistenzen, da ihnen nur wenige Wirkstoffe zur Verfügung stehen. Manche Kulturen werden ganz aufgegeben. Die Vielfalt in der Landwirtschaft schwindet. Bei hohen Ernteverlusten leidet vor allem die Effizienz. Umweltfreundlich ist dies nicht. Trotz hohem Ressourcenverbrauch bleibt nur ein geringer Ertrag. «Weil wir auf immer weniger Pflanzenschutzmittel zurückgreifen können, sind wir häufig nicht mehr in der Lage, unsere Kulturen zu schützen», zitiert die «NZZ» den Direktor des Verbands der Schweizer Gemüseproduzenten.
Auch für die Bauern ist die Situation nicht haltbar. So befürchtet David Brugger, verantwortlich für Pflanzenschutz beim Schweizer Bauernverband, dass die Bauern den fehlenden Pflanzenschutz noch stärker zu spüren bekommen. Ein Zeichen für die Pflanzenschutzkrise sind auch die ständig steigenden Notfallzulassungen. Der Zulassungsstau bei den Pflanzenschutzmitteln bedroht eine Branche, die gemäss Ernährungspyramide eigentlich mehr pflanzliche Kalorien liefern müsste.
EU-Zulassung und neue Züchtungsmethoden
Eine Lösungsmöglichkeit, um den Zulassungsstau beim BLV zu entschärfen, wäre die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die in vergleichbaren EU-Ländern bereits zugelassen sind. Eine entsprechende Verordnung wie die Umsetzung einer von beiden Räten überwiesenen parlamentarischen Initiative sind in Vorbereitung. Damit könnten innovative Wirkstoffe schneller auf den Markt kommen. Ein Hoffnungsschimmer sind Fortschritte in der Züchtung. Neue, resistentere Gemüsesorten könnten helfen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Doch auch diese Pflanzen sind nicht vor Schädlingen sicher. Fazit: Wenn die Schweizer Ernährungsempfehlungen tatsächlich ganzheitlich sein sollen, muss man den Bauern auch die Mittel in die Hand geben, um ihre Ernten zu schützen. Sonst bleibt der Wunsch nach regionalen, pflanzlichen Lebensmitteln ein Luftschloss.
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