
Nur die halbe Wahrheit in der Gentech-Debatte
Wer nur Risiken sieht, bleibt blind für die Chancen einer neuen Technologie. Die Gentech-Gegner haben eine neue Umfrage zu den neuen Züchtungsmethoden vorgelegt, welche vielsagende Leerstellen aufweist.
Mittwoch, 16. Juli 2025
Das Wahre ist das Ganze – das wusste schon der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Nur wenn man alle Aspekte einer Thematik in eine Beurteilung aufnimmt, kommt man der Wahrheit näher. Was trivial klingt, ist in der Realität ein ambitioniertes Unterfangen. Denn wer sieht schon alle Facetten eines Themas? Und doch: Wer fundierte Entscheidungen treffen will, kommt nicht darum herum, sich an diesem Prinzip zu orientieren.
Diese Einsicht zeigt sich aktuell exemplarisch mit Blick auf die neuen Züchtungsmethoden. Wie sollen diese beurteilt werden? Welche Haltung nimmt die Schweizer Bevölkerung dazu ein? Solche Fragen beschäftigen derzeit auch die Politik. Der Bundesrat hat unlängst eine Gesetzesvorlage vorgelegt, die mit vielen Auflagen den Einsatz solcher Techniken erlauben soll.
Dabei hat sich die Regierung stark an den Bedenkenträgern orientiert, die in jeder neuen Technologie primär Risiken sehen. Entsprechend kritisch fällt das Urteil der Fachleute aus Züchtung (hier die Stellungnahme vom Verein «Sorten für Morgen»), Forschung (hier die Stellungnnahme von den Akademien der Wissenschaft SCNAT) und Industrie (hier die Stellungnahme von scienceindustries) aus. Auch die «NZZ» schreibt: Die Vorlage sei weniger ambitioniert als der aktuelle Vorschlag der EU, der momentan dort verhandelt wird. Von einer echten Liberalisierung könne kaum die Rede sein.
Eine halbe Wahrheit reicht nicht
In diesem Kontext wurde kürzlich eine neue Umfrage des Instituts Sotomo im Auftrag von gentechkritischen Kreisen veröffentlicht. Sie beleuchtet die Einstellung der Schweizer Bevölkerung zur Genomeditierung – jedoch ausschliesslich unter dem Blickwinkel möglicher Risiken. Gefragt wurde etwa nach Sorgen um Natur, Gesundheit, Abhängigkeit von Grossverteilern oder den Einfluss multinationaler Konzerne.
Das Ergebnis: Eine Mehrheit zeigt sich skeptisch. Wenig überraschend – denn wer nur nach Gefahren fragt, bekommt eben auch vorwiegend ängstliche Antworten. Was die Umfrage vollständig ausblendet: die potenziellen Chancen und konkreten Nutzen der Technologie – etwa für den Umweltschutz, die Landwirtschaft oder die Ernährungssicherheit.
Dass solche Verzerrungen kein Einzelfall sind, zeigt sich auch in anderen Politikfeldern. So sagte die ETH-Kernforscherin Annalisa Manera im Interview mit der «SonntagsZeitung»: «Das Resultat hängt allein davon ab, wie die Frage gestellt wird. Fragt man nur: ‹Wollen Sie ein neues AKW?›, ist die Mehrheit dagegen – verständlich, denn nicht alle wollen ein neues Kraftwerk, wenn es nicht nötig ist. Fragt man dagegen: ‹Befürworten Sie den Bau neuer Kraftwerke gegen Stromknappheit?› sprechen sich klare Mehrheiten dafür aus.»
Bei den Züchtungstechnologien ergibt sich ebenfalls ein interessanter Kontrast, wenn man frühere repräsentative Studien aus den Jahren 2021 und 2024 heranzieht – erstellt durch das Umfrageinstitut gfs.bern im Auftrag von swiss.food.ch. Dort wurden sowohl Risiken als auch Nutzen abgefragt. Das Bild war ausgewogener – und positiver als die Umfrage von Sotomo:
- 72 Prozent der Befragten fanden es sinnvoll, Pflanzen mit neuen Züchtungsverfahren klimawiderstandsfähiger zu machen.
- 69 Prozent befürworteten es, wenn dank solcher Methoden weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssten.
- Rund 60 Prozent zeigten sich offen für eine differenzierte Regulierung der neuen Technologien.
Ein weiteres Signal: In der Studie von 2021 wollten noch 79 Prozent der Bevölkerung das Gentechnik-Moratorium verlängern. In der Befragung von 2024 sind es nur noch 59 Prozent – ein bemerkenswerter Rückgang um 20 Prozentpunkte innerhalb von nur drei Jahren. Das zeigt: Die Meinungen sind im Wandel – wenn die Bevölkerung über die ganze Faktenlage und den konkreten Nutzen informiert wird.
Neue Studie bestätigt diesen Trend
Diesen Trend bestätigt nun auch eine neue repräsentative Civey-Umfrage vom Juli 2025 im Auftrag verschiedener Verbände der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Die Ergebnisse sind deckungsgleich mit den gfs.bern-Erhebungen:
- 79,4 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass präzise optimierte Pflanzen aus neuen Züchtungsmethoden nicht strenger reguliert werden sollten als solche aus klassischer Mutationszüchtung.
- Gefragt nach den wichtigsten Vorteilen nannten 41,6 Prozent den geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, 33,5 Prozent den Klimaschutz und 23,1 Prozent sichere Ernten.
Auch diese Zahlen zeigen klar: Wenn Nutzen und Potenziale thematisiert werden, ist die Offenheit der Bevölkerung gross. Die aktuelle politische Debatte braucht mehr als nur Warnungen und Worst-Case-Szenarien. Sie braucht eine breite Optik, welche die Chancen und Potenziale mit ins Bild rücken und die Technologie richtig einordnen. Die «Bauernzeitung» hat dies zum Beispiel gemacht, indem sie die verschiedenen Umfragen in einem Artikel thematisiert und die aktuelle Zulassungsdiskussion korrekt einordnet: «Fest steht: Cisgene Pflanzen kommen in der Landwirtschaft seit Jahrzehnten zum Einsatz. Sie wurden bisher aber auf andere Art erzeugt.» Denn dies ist ja eigentlich die zentrale Botschaft: Die neuen Züchtungsmethoden mögen neueren Datums sein, Produkte aus Mutationszüchtung sind aber seit Jahrzehnten auf unseren Feldern und Tellern zu finden. Dieses Verständnis ist zentral für die aktuelle Diskussion und es dürfte auch dazu führen, dass immer mehr Personen in der Schweiz positiver gegenüber den neuen Züchtungstechnologien eingestellt sind.
Denn diese werden ein Schlüssel sein, um Herausforderungen wie Klimawandel, Schädlingsdruck und Versorgungssicherheit anzugehen – vorausgesetzt, man denkt ganzheitlich. Das Wahre ist eben nicht die Angst. Das Wahre ist das Ganze!
Sources
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