
«Pestizide sind schuld am Insektensterben.»
Immer wieder werden Pestizide für den Rückgang bei den Insekten verantwortlich gemacht. Das greift zu kurz. Die Realität ist viel komplexer. So hat die Zersiedelung einen deutlich stärkeren Einfluss auf Insektenpopulationen. Das belegt eine Metastudie zum weltweiten Insektenschwund.
Samstag, 2. November 2019
Das Wichtigste in Kürze:
- Der Rückgang an Insekten ist weniger stark, als ursprünglich angenommen. Während bei Landinsekten ein Rückgang von 9 Prozent pro Jahrzehnt zu verzeichnen ist, haben Wasserinsekten in der gleichen Zeitspanne im Schnitt um 11 Prozent zugenommen.
- Klar ist auch, dass für den Populationsrückgang von Landinsekten verschiedene Ursachen verantwortlich sind.
- Mangel an Lebensräumen (z.B. durch fehlende Freiflächen und oder Hecken); Flächenversiegelung aller Art (z.B. durch Überbauungen und Strassen); Einbringen von Substanzen in die Umwelt (für Reinigung und Pflanzenschutz); Zunahme der Lichtquellen (z.B. durch Dauerbeleuchtung von Strassen); Verkehrszunahme (Kollisionen mit Insekten); Mangelnder Schutz von Biotopen (weniger Feuchtgebiete).
Honigbienen, Wildbienen und andere Bestäuberinsekten spielen eine zentrale Rolle in Agrarökosystemen. Die Bestäubung durch Bestäuber kann zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Ertrags beitragen. Gemäss der Taschenstatistik Umwelt 2020 des Bundesamtes für Statistik (S. 14) profitierten 2018 rund 42 000 Hektaren Kulturflächen von der Bestäubung durch Tiere. Das sind rund zehn Hektaren mehr als noch vor 20 Jahren. Insbesondere bei Obst oder Beeren, aber auch bei Raps oder Sonnenblumen wird die Produktion durch Bestäuber gefördert.
Unbestritten kann die unsachgemässe Anwendung von Pflanzenschutzmitteln für Mensch, Tier und Umwelt gefährlich sein. Doch Pestizide pauschal für das Insektensterben verantwortlich zu machen, greift viel zu kurz. Denn von der Wissenschaft wurden mehrere andere wichtige Faktoren identifiziert, welche die Artenvielfalt teilweise deutlich stärker gefährden. Eine umfassende Metastudie zeigt, dass die Gründe für die Abnahme der Insekten über Land mit Sicherheit nicht monokausal sind.
Fortschreitende Zersiedelung als Problem
Die Studie zeigt auch: Bei Wasserinsekten ist sogar eine Zunahme um elf Prozent zu verzeichnen. In unseren Breitengraden dürfte vor allem der Flächenbedarf zugunsten von Siedlungen und Strassen eine wichtige Rolle spielen. Die Zersiedlung in der Schweiz wie in ganz Europa schreitet stark voran. Neben der Zersplitterung der Landschaft ist die Versiegelung von Böden das Hauptproblem. Die aktuellsten Zahlen der Taschenstatistik Umwelt 2020 des Bundeamts für Statistik (S. 31) zeigen, dass die versiegelten Flächen innert 24 Jahren um 29 Prozent zugenommen haben. Damit sind knapp 5 Prozent der Landesfläche versiegelt. Die Böden können dann ihre wichtigen Funktionen für Nährstoff- und Wasserkreislauf nicht mehr erfüllen. Zudem gefährdet die mit der Zersiedelung einhergehende Lichtverschmutzung viele Insektenarten. Unablässig dehnt sich die Siedlungsfläche weiter aus, allein seit 1982 um über 30 Prozent. Gleichzeitig verschwinden Ackerland und Wiesen.
Blindspot-Artikel
Immer mehr Bienenvölker in Europa
Die moderne Landwirtschaft kann aber durchaus auch positiv auf die Insektenvielfalt wirken. So zeigt beispielsweise eine Studie aus den USA, dass es Honigbienen in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gegenden besser geht, auch wenn dort Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Dies hängt damit zusammen, dass landwirtschaftlich genutzte Gebiete ein reichhaltiges Nahrungsangebot und so eine gute Lebensgrundlage bieten. So können also auch gefährdete Arten durchaus von der Landwirtschaft profitieren. Entgegen aller Behauptungen, nehmen gemäss den Zahlen der FAO auch in Europa die Anzahl Bienenstöcke seit Jahren zu. Dass der Rückgang der Honigbienen ein Mythos ist, belegt eine aktuelle Zusammenstellung.
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