Biotechnologie als Werkzeug für den Naturschutz

Biotechnologie als Werkzeug für den Naturschutz

Neue genomische Technologien können helfen, bedrohte Arten zu retten – vom Kastanienbaum bis zum Weissen Breitmaulnashorn.

Dienstag, 21. Oktober 2025

Der Verlust an Biodiversität schreitet weltweit dramatisch voran. Über eine Million Arten sind laut Schätzungen vom Aussterben bedroht. Klassische Schutzmassnahmen – wie Lebensraumbewahrung, Zuchtprogramme oder die Bekämpfung invasiver Arten – stossen zunehmend an ihre Grenzen. Forschende und Naturschutzorganisationen prüfen deshalb, ob biotechnologische Verfahren künftig helfen können, Arten zu retten oder Ökosysteme zu stabilisieren, wie ein aktueller Beitrag auf der Plattform Genetic Literacy Project zeigt.


Die Rückkehr der amerikanischen Kastanie

Ein eindrückliches Beispiel ist dabei die amerik­a­nische Kastanie. Einst prägte sie die Wälder im Osten der USA, bis ein eingeschleppter Pilz Anfang des 20. Jahrhunderts Milliarden Bäume vernichtete. Die sogenannte The American Chestnut Foundation (TACF) arbeitet seit über 30 Jahren daran, die Art zurückzubringen – durch klassische Züchtung mit Resistenzgenen der chinesischen Kastanie. Parallel kombiniert TACF diese Ansätze mit modernen Methoden wie genomischer Selektion und Speed Breeding, um die Entwicklung zu beschleunigen. Zudem kooperiert TACF mit dem SUNY College of Environmental Science and Forestry (SUNY-ESF), wo gentechnisch resistente Kastanienlinien entwickelt wurden. Dieses Nebeneinander von konventioneller Züchtung und gentechnischen Verfahren zeigt, wie sich klassische Methoden und Biotechnologie ergänzen können, um ein Ökosystem wiederzubeleben.


Das letzte männliche Breithornnashorn ist tot

Auf Inseln bedrohen eingeschleppte Ratten, Mäuse und andere Nagetiere zahllose endemische Vogel- und Insektenarten. Gifteinsätze oder Fallen sind oft teuer, schwer umzusetzen und mit ökologischen Unsicherheiten behaftet. Hier setzt das internationale Genetic Biocontrol of Invasive Rodents Consortium (GBIRd) an – mit Unterstützung durch Organisationen wie Island Conservation, die seit Jahren klassische Methoden einsetzen und nun genetische Ansätze wie Gene Drives erforschen. Ein solcher Gene Drive kann eine genetische Eigenschaft – etwa Unfruchtbarkeit – so weit verbreiten, dass eine invasive Population deutlich reduziert oder sogar lokal eliminiert werden könnte. Diese Technologie bietet potenziell eine präzisere und ökologisch verträglichere Kontrolle als herkömmliche Mittel.

Noch deutlicher wird das Potenzial biotechnologischer Verfahren beim nördlichen Breitmaulnashorn. Von dieser Art leben nur noch zwei unfruchtbare Weibchen, der letzte Bulle starb 2018. Forschende versuchen nun, mit In-vitro-Fertilisation, Stammzelltechnologie und genetischer Archivierung Embryonen zu erzeugen, die in verwandten Nashornarten eingesetzt werden könnten. Ohne biotechnologische Verfahren wäre diese Art unwiederbringlich verloren gegangen.


Wichtiger Entscheidung der IUCN: Wissenschaft statt Tabu

Ein markantes Signal für diesen Wandel im Naturschutz kam kürzlich von der International Union for Conservation of Nature (IUCN). Die IUCN ist die weltweit grösste Naturschutzorganisation, ein Zusammenschluss von mehr als 1400 Regierungs‑ und Nichtregierungsorganisationen aus über 160 Ländern. Sie erstellt wissenschaftlich fundierte Richtlinien, Bewertungsberichte und Empfehlungen, die oft die Grundlage für Naturschutzpolitik und -projekte weltweit bilden, etwa für die Rote Liste bedrohter Arten.

Auf ihrer letzten Jahrestagung haben die Mitglieder beschlossen, kein pauschales Verbot für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) im Naturschutz zu unterstützen, sondern stattdessen eine wissenschaftlich fundierte, risikobasierte Bewertung zu befürworten. Obwohl die IUCN keine gesetzgebende Macht besitzt, hat ihre Entscheidung grosse symbolische Bedeutung – viele Staaten und Naturschutzprogramme orientieren sich an ihren Empfehlungen.


Neues Werkzeug im Werkzeugkasten des Naturschutzes

Die Integration biotechnologischer Verfahren in den Naturschutz ist ein bedeutender Schritt – gerade nun, wo die IUCN signalisiert hat, dass ein vollständiges Tabu weder wissenschaftlich begründet noch sachgerecht ist. Dafür müssen jedoch klare Kriterien, Monitoring, Rückfalloptionen und transparente Prozesse etabliert werden.

Gleichzeitig ist auch klar, dass Biotechnologie kein Ersatz für bewährte Schutzmethoden wie Lebensraumsicherung, Wiederansiedlungen oder invasive Artenkontrolle sind – sondern ein ergänzendes Werkzeug. Für Mitteleuropa könnte dies – etwa beim Waldschutz gegen neue Schädlinge oder beim Umgang mit invasiven Arten – künftig Relevanz gewinnen.

Die Biotechnologie im Naturschutz steht am Anfang: Statt nur zu dokumentieren, wie Arten verschwinden, könnten wir sie mit wissenschaftlicher Hilfe und kluger Regulierung erhalten – wenn wir bereit sind, alte und neue Ansätze verantwortungsvoll zu verbinden.

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