
Neues Problem Weichwanzen: Einheimische Schädlinge entdecken Gemüse und Obst
Weichwanzen breiten sich in rasantem Tempo auf Feldern und in Gewächshäusern in Süddeutschland aus. Die Schädlinge zerstören Gemüse und Obst – und bringen die Landwirtschaft an ihre Grenzen. Um Ernten zu sichern, braucht es dringend wirksame Pflanzenschutzmittel.
Montag, 7. Juli 2025
Sie sind klein, flink – und eine wachsende Bedrohung für unsere Lebensmittelproduktion: Weichwanzen breiten sich rasant auf deutschen Feldern aus. Besonders in Baden-Württemberg machen sie Landwirtinnen und Landwirten zunehmend Sorgen. Wie unter anderem «topagrar» und «Lebensmittelpraxis» berichten, befallen die Schädlinge mittlerweile nicht nur Gemüsefelder und Obstplantagen, sondern auch Kulturen in Gewächshäusern. Die Schäden an Obst und Gemüse nehmen zu – mit teils dramatischen Folgen für die Ernte.
Schäden an Obst und Gemüse nehmen enorm zu
Die Liste der betroffenen Kulturen wird immer länger: Besonders Gurken, Auberginen und Peperoni gelten als gefährdet. Neu dazugekommen sind auch Erdbeeren. Die Weichwanzen saugen an jungen Trieben, bis diese absterben. Es kommt zu Verfärbungen, Verformungen und einem deutlichen Qualitätsverlust.
Christine Dieckhoff vom Landwirtschaftlichen Zentrum Baden-Württemberg schlägt Alarm: «Wir beobachten einen erhöhten Schadensdruck», so die Insekten-Expertin gegenüber «topagrar». Dass Wanzen Schaden anrichten, ist grundsätzlich nichts Neues. Doch bisher waren die Schuldigen meist eingeschleppte Arten wie zum Beispiel die Marmorierte Baumwanze. Nun vernichten auch heimische Wanzen zunehmend ganze Ernten – ein neues Phänomen, das Fachleute zunehmend beunruhigt und die Landwirte vor existentielle Herausforderungen stellt.
Schwer zu bekämpfen
Erschwert wird die Situation durch die hohe Mobilität der Tiere: Weichwanzen können fliegen und erklimmen daher drei Meter hohe Obstbäume mühelos. Ihre Agilität macht gezielte Bekämpfungsmassnahmen schwierig. Hinzu kommt, dass die Insekten früher auf Wiesen und nicht auf Bäumen gehaust hätten. Doch die grösste Herausforderung liegt woanders: Den Landwirten fehlen schlicht die nötigen Mittel, um wirksam gegen die Schädlinge vorzugehen.
«Seit Jahren verlieren immer mehr Pflanzenschutzmittel die Zulassung», sagt Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV). Die Erzeuger beklagen, dass der Werkzeugkasten zur Schädlingsbekämpfung immer leerer wird. Die Konsequenz: Notfallzulassungen nehmen massiv zu. Ein «unhaltbarer Zustand», wie Theileis betont. Denn wenn keine regulären Mittel mehr zugelassen sind, muss die Landwirtschaft auf Ausnahmen hoffen.
Unehrliche Notfallzulassungen
Auch Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) sieht Notfallzulasungen kritisch. «Dieses Vorgehen schafft unnötige Bürokratie und für die Anwender in Zeiten des Klimawandels mehr Unsicherheit als verlässliche Planbarkeit», sagte er. Eine Akutbehandlung sei keine langfristige Strategie. Es brauche eine ausreichende Zahl an Wirkstoffgruppen – das «steht nicht im Widerspruch zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln». Die ausreichende Zahl an verschiedenen Wirkmechanismen ist in der Tat zentral: Nur wenn pro Indikation – also pro Schädling respektive Krankheit und Kulturpflanze – mehrere Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen, können Resistenzen verhindert werden. Notfallzulassungen sind auch für die Pflanzenschutzmittel-Firmen ein Problem: Es besteht keinerlei Rechts- und Planungssicherheit, ein unhaltbarer Zustand. Auch in der Schweiz nimmt die Anzahl zugelassener Pflanzenschutzmittel stetig ab, während die Notfallzulassungen steigen. Ein Beweis, dass Landwirtschaft ohne wirksamen Pflanzenschutz eine Illusion ist – genauso wie ein Gesundheitssystem ohne wirksame Medikamente. Notfallzulassungen sollten Ausnahmen bleiben – die derzeitge Praxis eine Mogelei.
Politik zaudert – und das seit Jahren
Die Weichwanze ist kein Einzelfall. Auch andere Schädlinge bereiten den Behörden Kopfzerbrechen. Für die Bekämpfung der Glasflügelzikade musste das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ebenfalls zu Notfallzulassungen greifen. Die Lage spitzt sich zu – nicht nur in Deutschland. Ähnliche Berichte gibt es aus Österreich und auch der Schweiz.
Das Problem ist nicht neu. Bereits im vergangenen Jahr drohten Insekten wie der Japankäfer, die Fleckenminiermotte oder die Mittelmeerfruchtfliege ganze Ernten zu vernichten. Ohne wirksame Pflanzenschutzmittel fehlt der Landwirtschaft ein zentrales Werkzeug, um Erträge zu sichern und Lebensmittelqualität zu garantieren.
In Anbetracht der wiederkehrenden Probleme erstaunt es, wie wenig entschlossen die Politik handelt. Die Landwirtinnen und Landwirte stehen jedes Jahr vor denselben Herausforderungen – und müssen zunehmend hilflos zusehen, wie Schädlinge ihre Kulturen vernichten. Der Ruf nach wirksamem, modernem und geprüftem Pflanzenschutz wird lauter, während die Importe von Nahrungsmitteln steigen.
Warum sich die Notfallzulassungen häufen
Medien berichten wiederholt, dass der Bund auf Antrag der Herstellerfirmen immer häufiger Notfallzulassungen bei Pflanzenschutzmitteln bewillige und suggerieren, dass damit im Schweizer Markt verbotene Substanzen quasi durch die Hintertüre wieder ausgebracht würden. Die Geschichte ist so süffig wie falsch. Richtig ist hingegen: Es gibt immer mehr Schädlinge, gegen die keine zugelassenen Mittel zur Verfügung stehen. Der Zulassungsprozess stockt. Gleichzeitig müssen Landwirte Schädlinge und Krankheiten bekämpfen können. Ihre Produzentenverbände beantragen daher immer häufiger Notfallzulassungen.
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