Als hätte man hierzulande alle Zeit der Welt

Als hätte man hierzulande alle Zeit der Welt

Die EU steckt bei der Regulierung neuer Züchtungstechnologien seit Jahren fest. Auch die Schweiz verschläft die Entwicklung. Während weltweit innovative Ansätze längst kommerziell genutzt werden, fehlt es in Europa und der Schweiz an klaren Regeln – mit weitreichenden Folgen für die hiesigen Landwirte, Züchter und Saatgutvermehrer und den globalen Handel.

Mittwoch, 29. Januar 2025

Die EU hat es nicht eilig mit der Regulierung der neuen Züchtungstechnologien. Seit Jahren diskutiert man, wie man mit diesen innovativen Ansätzen in der Europäischen Union umgehen soll. Und bis heute scheint darüber keine mehrheitsfähige Lösung gefunden worden zu sein. Dabei liegt eigentlich ein Vorschlag der EU-Kommission vor, der längst umgesetzt sein sollte. Dieser möchte zwei Kategorien von Züchtungen einführen: In die erste sollen Pflanzen fallen, die mit den neuen genomischen Züchtungstechnologien gezüchtet wurden, aber ohne Einbringung fremder DNA entstanden sind. Diese wären von den Auflagen des geltenden Gentechnikrechts ausgenommen und könnten damit sehr schnell zugelassen und frei gehandelt werden. In die zweite Kategorie würden jene Produkte und Pflanzen fallen, welche fremde DNA enthalten. Diese würden innerhalb der Gentechnikgesetzgebung abgehandelt.


Auch die Schweiz bewegt sich im Kriechgang

Bereits im Jahr 2021 hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, eine risikobasierte Regelung für die Zulassung von Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien auszuarbeiten. Dies hätte er gemäss Gesetzestext bis im Sommer 2024 machen müssen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist nun aber erst fürs Jahr 2026 vorgesehen. Aufgrund dieser Verzögerung hat die Kommission vorgeschlagen, das Ende 2025 auslaufende Gentech-Moratorium um zwei Jahre zu verlängern. Damit soll verhindert werden, dass in Bezug auf die neuen Züchtungstechnologien eine Gesetzeslücke entsteht. Jetzt verschleppt der Bundesrat eine risikobasierte Zulassung sogar noch weiter und will das Gentech-Moratorium unverändert bis ins Jahr 2030 verlängern. Ob das Parlament die bundesrätliche Schneckenpost absegnet, ist zumindest fraglich.

Eine Umsetzung einer risikobasierten Gesetzgebung ist in der Schweiz und der EU in weiter Ferne. Gleichzeitig steigen weltweit die Züchter im grossen Stil bei den neuen Züchtungstechnologien ein. Eine kommerzielle Nutzung gibt es gemäss «Top Agrar» in vielen Ländern bereits heute und das starke Wachstum dieses Bereichs wird weiter anhalten. Die Musik spielt längst anderswo.


Keine Unterscheidung mehr möglich

Und damit steigt auch der Druck, endlich zukunftsgerichtet zu regulieren. So weist beispielsweise die Präsidentin des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid), Jaana Kleinschmit von Lengefeld, in einem Artikel der Plattform «topagrar.com» darauf hin, dass die EU einen jährlichen Importbedarf von rund 30 Millionen Tonnen Soja(schrot) hat, um den eigenen Proteinbedarf zu decken. Dieses Soja käme unter anderem aus Südamerika, wo viele Staaten die neuen Züchtungstechnologien auch im Sojaanbau zugelassen haben. In der Konsequenz sehe die Realität vor Ort so aus: Zahlreiche LKW-Ladungen von unterschiedlichen Produzenten würden zu Schiffstransporten von bis zu 80'000 Tonnen zusammengefasst und global verschifft. Eine Trennung und Nachverfolgung der einzelnen Partien sei da schlicht unmöglich und für europäische Händler im Extremfall ein grosses Problem: Denn unter dem aktuellen Gentechnikrecht bleibt das Gebot der Nulltoleranz bestehen. Im Äussersten wären die Händler gezwungen, solche für die Versorgung des europäischen Marktes wichtigen Destinationen zu blockieren, um nicht selbst schadensersatzpflichtig zu werden.

Das Beispiel zeigt: Die Welt der Pflanzenzüchtung dreht sich rasant weiter. Innovative Methoden haben sich längst durchgesetzt. Nur in den Kommissionszimmern und Ratssälen Europas scheint man die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben, zum Nachteil der hiesigen Landwirte, Konsumenten, Züchter und Saatgutvermehrer.

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht längst anderswo

Die Innovation wartet nicht auf die Bedenkenträger in Europa und der Schweiz. Die innovativen Züchtungen geschehen vermehrt andernorts. Führend sind dabei die grossen Landwirtschaftsmärkte wie die USA, Brasilien oder auch China. In China wurde im Mai 2024 ein genomeditierter Weizen zum Anbau zugelassen. Der Weizen ist krankheitsresistenter und verspricht höhere Erträge. Insgesamt ist China führend in der Entwicklung genomeditierter Nutzpflanzen: 509 der Ende Mai 2024 weltweit bekannten 900 Züchtungsprojekte dazu stammten aus dem Reich der Mitte, berichtet der Point-Newsletter von scienceindustries. Und führt weiter aus: «Unter den wichtigen Züchtungszielen befinden sich gesteigerte Erträge, Krankheitsresistenz, Stresstoleranz und eine verbesserte Nahrungs- und Futtermittelqualität.»

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