Old Stories Die Hard – wenn (Bio-)Marketing den Blick auf die Realität verstellt

Old Stories Die Hard – wenn (Bio-)Marketing den Blick auf die Realität verstellt

Eine ORF-Doku zeigt, was viele Bio-Anhänger nicht hören wollen: Mutagenese ist Gentechnik – und steckt seit Jahrzehnten in unzähligen Sorten. Trotzdem fordern Bio-Händler wie REWE & dm Kennzeichnungspflichten für neue Züchtungsmethoden. Wissenschaftlich ergibt das keinen Sinn.

Dienstag, 2. Dezember 2025

Alphons Piatti ist seit 40 Jahren Biobauer, war lange Obmann von Bio Austria und lehnt jede Form der Gentechnik ab. Umso erstaunlicher ist es, dass er in einer ORF-Dokumentation offen über die Lebenslüge seiner eigenen Zunft spricht: «Wenn man denen sagt: Du hast immer geglaubt, alles in der Bio-Landwirtschaft ist ohne Mutagenese erzeugt worden – dann wird er sich wahrscheinlich wundern.» Er stellt die Frage in den Raum: «Wie gehen wir damit um?»

Beantwortet wird diese Frage in der ORF-Dokumentation: «Vielleicht, indem man den Konsumenten Fakten auftischt: Mutagenese ist Gentechnik!» Das ist aus naturwissenschaftlicher Perspektive wie auch aus rechtlicher Sicht so: «Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Juli 2018) sind Organismen, die aus dieser herkömmlichen, ungerichteten Mutationszüchtung hervorgehen, «gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO). Diese sind jedoch von allen Bestimmungen des Gentechnik-Rechts befreit, fallen also nicht unter dessen Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten».

Doch das Marketing verstellt dem (Bio-)Handel den Blick auf diese Realität: Ende November 2025 haben die Unternehmen REWE, dm, Alnatura, dennree und Rapunzel in einem Offenen Brief EU-Parlamentarier aufgefordert, die vollständige Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, die mittels klassischer Gentechnik gezüchtete Pflanzen enthalten, auch auf neue Züchtungsmethoden anzuwenden. Dies im Hinblick auf die Anfang Dezember in Brüssel stattfindende „Trilog“-Runde zwischen Ministerrat, Europaparlament (EP) und EU-Kommission.

Nach den Vorstellungen von EU-Kommission und Ministerrat sollen Pflanzen, denen keine artfremde DNA eingefügt wird, nicht gekennzeichnet werden, weil sie rechtlich als konventionelle Pflanzen gelten. Der Grund dafür: Diese Pflanzen entstehen durch gezielte Mutagenese z.B. durch die Genschere – und sind von Pflanzen, die konventionell oder durch klassische – also ungezielte – Mutagenese erzeugt wurden, nicht zu unterscheiden.

Am 3. Dezember sind nun die Unterhändler der 27- EU-Staaten und des Europaparlaments auf diesen Vorschlag eingeschwenkt. Lebensmittel, die mittels der neuen Züchtungsmethoden erzeugt werden, sollen ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden können. Falls das EU-Parlament und die EU-Staaten dem Vorschlag ihrer Unterhändler folgen, wäre dies ein historischer Durchbruch.

REWE, dm und andere Bio-Händler pochen dennoch auf eine Kennzeichnung und setzen damit weiterhin auf Ideologie statt Fakten. Leider ist dieses Denken auch in der Schweiz dominierend. Der aktuelle Vorschlag des Bundesrats, wie eine Zulassung der neuen Züchtungsmethoden aussehen könnte, atmet genau diesen Geist. Die Vorlage ist so restriktiv, dass eine kommerzielle Anwendung verunmöglicht wird.

Falls wir hierzulande auf dieser Schiene weiterfahren, bleibt die paradoxe Situation bestehen: Zwei Pflanzen könnten exakt dieselbe Mutation tragen. Die eine – ohne Kennzeichnung – wäre durch klassische, ungezielte Mutagenese entstanden und würde zahlreiche zusätzliche Zufallsmutationen im Genom enthalten. Die andere wäre mittels neuer, präziser Mutagenese hergestellt worden und müsste gekennzeichnet werden, obwohl sie von der ersten nicht zu unterscheiden ist.

Da kann man sich zu Recht fragen: Wie gehen wir damit um? Ein guter Rat wäre sicherlich: Wir folgen der Wissenschaft und lassen die Kennzeichnungspflicht für beide sein. So wie es nun die EU in die Wege geleitet hat. Lieber nicht? Dann bliebe aus wissenschaftlicher Sicht nur die Kennzeichnungspflicht für sämtliche Pflanzen, die mittels Mutagenese – also mittels Gentechnik – entstanden sind. Und das sind viele, wie beispielsweise auch Professor Kai Purnhagen von der Universität Bayreuth sagt: «Wäre die Mutagenese nicht von der Gentechnik-Gesetzgebung ausgenommen worden, müssten schätzungsweise 80–90 % der Getreideprodukte auf dem europäischen Markt als GVO gekennzeichnet werden.»

Der eine oder andere Konsument – ob Bio oder nicht - müsste also verwundert feststellen, dass er in den vergangenen Jahren ziemlich viel Gentechnik gegessen hat. Das gilt auch für die Schweiz, wo aktuell Gentech-Gegner eine Initiative lanciert haben, welche im Initiativtext besagt: «Wer gentechnisch veränderte Organismen in Verkehr bringt, muss sie […] als solche kennzeichnen.» Eine Annahme dieser Initiative müsste also eine regelrechte Deklarationslawine lostreten. Aber so viel Transparenz ist wohl nicht im Sinn der Initianten.

Old habits die hard, sagt man im Englischen. Und die aktuelle Diskussion um Kennzeichnungspflichten für die neuen Züchtungsmethoden zeigt: Das gilt auch für die Marketing-Geschichten gewisser Bio-Apologeten.

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