Dieses Insekt bedroht deutsche Bauern existenziell

Dieses Insekt bedroht deutsche Bauern existenziell

Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich rasant aus und bedroht Kartoffeln, Zuckerrüben und andere Kulturen. Ihre bakteriellen Erreger führen zu massiven Ernteverlusten. Besonders betroffen ist derzeit Deutschland, doch auch in der Schweiz mehren sich die Anzeichen für eine wachsende Bedrohung.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich mit alarmierender Geschwindigkeit in deutschen Anbaugebieten aus. Das Insekt bedroht zunehmend Kartoffeln, Zuckerrüben und andere Gemüsekulturen. Wie die «Agrarzeitung» berichtet, hat sich die Lage weiter zugespitzt. Landwirtschaftsverbände und Experten schlagen nun Alarm: Es drohen massive Ertrags- und Qualitätsverluste – und bisher fehlt es an effektiven Handlungsstrategien. «Wir brauchen dringend Lösungsmöglichkeiten, um die befallenen Kulturen, wie die Kartoffeln, im Anbau zu halten. Es steht nicht weniger als die Ernährungssicherheit und der Verlust regionaler Kreisläufe auf dem Spiel», warnt Olaf Feuerborn, Vorsitzender der Union der deutschen Kartoffelwirtschaft (UNIKA).

Ähnlich sieht es Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands. In der «Welt am Sonntag» warnt er vor dem Schädling: «Die Zikade ist eine echte Bedrohung für unsere Landwirtschaft und die Versorgungssicherheit mit heimischen Lebensmitteln. Wenn wir sie nicht in den Griff bekommen, wird es zu einer Verknappung von heimischer Ware kommen – mit steigenden Preisen als Folge.»

Die Zikade kann zwei gefährliche Krankheitserreger in sich tragen: den Stolbur-Erreger und ein Proteobakterium. Diese können massive Ertrags-, Qualitäts- und Lagerverluste verursachen – bis hin zum Totalausfall bei Kartoffeln. Besonders betroffen sind die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz. Die betroffene Fläche stieg allein bei den Zuckerrüben von 40’000 Hektar im Jahr 2023 auf mindestens 75’000 Hektar im vergangenen Jahr – das entspricht rund 20 Prozent der gesamten deutschen Rübenanbaufläche.


Diverse Notfallzulassungen erlassen

Wie «20 Minuten» berichtet, hat sich die Situation derart verschärft, dass das deutsche Amt für Lebensmittelsicherheit diverse Notfallzulassungen für Insektizide erteilen musste. Aufgrund des Insekts war laut Bericht auf diversen Betrieben bis zu 70 Prozent der Kartoffelernte bedroht. Eine ähnliche Situation zeigt sich in Österreich, wo ebenfalls kurzfristig mehrere Pflanzenschutzmittel notfallmässig zugelassen wurden.

Auch in der Politik ist das Problem inzwischen angekommen. Doch über den Weg zur Lösung herrscht Streit. Konzerne wie Bayer oder BASF haben längst wirksame Insektizide entwickelt, die in Ländern wie Japan, den USA, Kanada oder Brasilien auch zum Einsatz kommen. In Deutschland hingegen sind sie nur in Ausnahmefällen zugelassen. Während Landwirte diese Zurückhaltung als politische Fahrlässigkeit kritisieren, beharren Umweltverbände auf den Verboten. Es stellt sich die Frage: Scheitert der Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade an Dogmen?

Neben wirksamen Pflanzenschutzmitteln fordern die Landwirtschaftsverbände zudem verstärkte Forschung und ein konsequentes Monitoring, um die Verbreitung der Zikade besser zu kontrollieren. Zusätzlich müssen zur Bekämpfung der Zikade langfristige Lösungen ran. Feuerborn betont: «Eine Reduzierung auf ackerbauliche oder züchterische Massnahmen reicht nicht aus, um der existenziellen Bedrohung der Anbaubetriebe zu begegnen. Wir brauchen ein strategisch abgestimmtes Massnahmenbündel, auch in Gebieten, in denen die Zikade heute noch nicht auftritt.» Der Bericht in der «Welt am Sonntag» bringt es auf den Punkt: «Gegen die Zikade hilft kein Dogma, sondern der technische Fortschritt in seiner ganzen Breite.»

Zudem kritisieren Fachleute wie Guendel Gonzalez, Geschäftsführerin der deutschen Agrarsparte Crop-Science von Bayer, dass Notfallzulassungen jedes Jahr neu beantragt werden müssen und damit keine Planungssicherheit bieten – weder für Landwirte noch für die Industrie. Sie fordert ein wissenschaftsbasiertes, berechenbares Zulassungsverfahren für neue Pflanzenschutzwirkstoffe: «Daran hapert es in Europa.»


Schweiz ebenfalls betroffen

Nicht nur in Deutschland ist die Schilf-Glasflügelzikade ein Problem. Auch in der Schweiz breitet sich der Schädling aus und sorgt insbesondere im Kartoffelanbau für erhebliche Qualitätsprobleme. Seit 2017 gibt es in der Westschweiz Berichte über von der Zikade bedrohte Kartoffeln, 2023 wurde erstmals das Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus nachgewiesen.

«Seit zwei Jahren haben wir vermehrt Qualitätsprobleme bei Kartoffeln, vor allem bei Verarbeitungskartoffeln für Chips oder Pommes frites», wird Stefan Vogel, Agrarwissenschaftler und Kartoffelforscher an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL in einem Bericht von «SRF» zitiert. In der Schweiz gehe man von Ertragseinbussen von bis zu 30 Prozent aus.

Eine aktuelle Studie der Berner Fachhochschule untersucht, wie sich die Schäden bei Zuckerrüben durch Fruchtfolgegestaltung reduzieren lassen. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Anbau von SBR-unempfindlichen Zuckerrüben (Syndrome Basses Richesses; Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) und der Verzicht auf Herbstkulturen wie Winterweizen positive Effekte hat. Dennoch bleibt die Herausforderung gross.

Wie der «Zürcher Bauer» berichtet, zeigt das Monitoring der Rübenfachstelle inzwischen neue Befallsherde auch in der Deutschschweiz, etwa im Zürcher Weinland. Forschende empfehlen deshalb, konsequent auf Fruchtfolgen zu setzen, die den Lebenszyklus der Zikade unterbrechen: Nach der Zuckerrübe sollte im Anschluss eine Sommerkultur und kein Wintergetreide folgen. Damit fehlt der Larve die Nahrung und sie stirbt ab. Eine konsequente Anpassung der Fruchtfolge ist laut Zürcher Bauer zentral, um eine weitere Ausbreitung zu bremsen.

Besonders problematisch sind Auswirkungen auf die Backqualität bei Kartoffeln: In 152 getesteten Ernteproben wurden 74 Prozent positiv auf das Proteobakterium getestet. Bei 21 Prozent der Proben fiel der Backtest ungenügend aus, wobei es unterschiedliche Anfälligkeiten bei den Sorten gab. Wie Vogel erläutert, kommt es dabei beim Frittieren der Kartoffeln zu einer Braunfärbung, die nicht erwünscht ist.


Es braucht innovative Ansätze

Der deutsche Journalist René Schaal bringt das Problem in einem Kommentar in der Agrarzeitung auf den Punkt: «Klimawandel und Globalisierung werfen ihre Schatten voraus: Immer mehr invasive Schädlinge machen sich auf deutschen Äckern breit.» Die Schilf-Glasflügelzikade sei dabei kein Einzelfall. Die Herausforderung: Eine effektive Bekämpfung ist kaum möglich.

Schuld daran sind zunehmende Regulierung und wenig Raum für Innovation. «Die Chemiekeule steht aufgrund immer strikterer Regulierung kaum noch zur Verfügung. Zugelassene Insektizide werden sukzessive weniger, biologische Alternativen stecken noch in den Kinderschuhen, und die Resistenzzüchtung kann auf die sich ständig ändernde Bedrohungslage nicht schnell genug reagieren», so Schaal weiter.

Die Konsequenz: Ohne schnelle und nachhaltige Lösungen wird die Zikade nicht die einzige Bedrohung für die Landwirtschaft bleiben. Landwirte brauchen stabile Rahmenbedingungen, Forschung, praxistaugliche innovative Ansätze und internationale Zusammenarbeit, um sich gegen invasive Schädlinge zu wappnen. Konkret nennt Schaal Ansätze wie die Förderung natürlicher Feinde oder gentechnisch veränderte Pflanzen.

Fest steht: Der Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade ist ein Wettlauf gegen die Zeit, der nur mithilfe von wirksamen Pflanzenschutzmitteln gewonnen werden kann. Nun ist die Politik gefordert, rasch zu handeln. Nur so kann der Schaden für die Landwirtschaft so gering wie möglich gehalten werden.

Invasive Schädlinge auf dem Vormarsch

Invasive Schädlinge stellen eine wachsende Bedrohung für die Schweizer Landwirtschaft und Biodiversität dar. Durch globalen Handel, Klimawandel und Reiseverkehr gelangen immer mehr fremde Arten in die Schweiz und richten erhebliche Schäden an Kultur- und Wildpflanzen an.

Beispiele dafür sind der Japankäfer, der sich rasant ausbreitet und einheimische Kulturpflanzen gefährdet, sowie die Asiatische Hornisse, die eine ernste Bedrohung für die Honigbienen darstellt. Weitere invasive Schädlinge wie die Edelkastaniengallwespe, die Kirschessigfliege oder der Asiatische Laubholzbockkäfer machen Landwirten und Naturschützern zunehmend Sorgen.

Der Schutz von Pflanzen vor diesen Bedrohungen bleibt eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Effektive Pflanzenschutzmittel, praxistaugliche Bekämpfungsstrategien und ein konsequentes Monitoring sind essenziell, um die Ausbreitung dieser Schädlinge einzudämmen. Oder wie es in der «Welt am Sonntag» heisst: Nur wer sich von ideologischen Denkverboten löst und den technischen Fortschritt nutzt, kann den Wettlauf gegen invasive Schädlinge gewinnen.

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