Meinungen
Bruno Studer

«Die «Greta»-Generation wird mit Paradigmen rigoros aufräumen.»

Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich, über das Potenzial von Pflanzenzüchtung, grüner Gentechnologie und einen möglichen Paradigmenwechsel dank der «Greta-Generation».

Montag, 31. August 2020

Dieses Interview erschien als Erstveröffentlichung am 5. Juni beim Landwirtschaftlichen Informationsdienst (LID).

LID: Was ist ganz generell die Aufgabe der Nutzpflanzenzüchtung?
Bruno Studer: Pflanzenzüchtung hat zum Ziel, die Kulturpflanzen genetisch fit zu machen für unsere Bedürfnisse von morgen. Im Vordergrund steht hier die Sicherstellung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, ohne dazu mehr Land zu beanspruchen und dabei gleichzeitig die Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren.

Wie kann man mit Hilfe von neuen Züchtungen die Erträge sicherstellen und die Landwirtschaft ökologischer machen?
Indem man versucht, Kulturpflanzen zu züchten, die gegenüber Schädlingen besonders resistent sind oder selbst unter schwierigen Klimabedingungen relativ stabile Erträge liefern.


Kann mit Hilfe von Neuzüchtungen der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden?
Ja, es gibt hier verschiedene Strategien: kurzfristig versucht man, Resistenzen in neue Sorten hineinzuzüchten. Krankheitsresistenz ist aber oft eine kontinuierliche Interaktion zwischen der Pflanze und dem Krankheitserreger (Pathogen). Somit ist das ständige Erschliessen neuer Resistenzquellen im Kampf gegen sich stetig verändernde Pathogene wichtig. Pflanzenzüchtung hilft mittelfristig, eine breite Auswahl an möglichen Resistenzquellen durch eine Vielfalt von neuen Sorten sinnvoll zu nutzen. Längerfristig ist die Pflanzenzüchtung der Schlüssel zu nachhaltigen und dauerhaften Resistenz-Strategien, oft inspiriert von Konzepten aus der Agrar-Ökologie.


Was, wenn Initiativen eine Schweiz ohne Pflanzenschutzmittel verlangen und den Einsatz moderner Züchtungsmethoden wie zum Beispiel die Genom-Editierung in Frage stellen oder gar verbieten wollen?
Dann sollte ein Plan für wirksame Alternativen vorhanden sein. Sonst wird es schwierig, den enormen Herausforderungen, die diese Initiativen für die Pflanzenproduktion mit sich bringen würden, gerecht zu werden.

Züchtung ist der Schlüssel zu nachhaltigen und dauerhaften Resistenz-Strategien

Können Neuzüchtungen auch dabei helfen, dass sich die Landwirtschaft besser an den Klimawandel anpassen kann?
Das ist zurzeit ein ganz grosses Thema – man versucht, Eigenschaften wie Trocken- oder Hitzetoleranz besser zu verstehen und darauf aufbauend Methoden zu entwickeln, um diese Eigenschaften züchterisch zu verbessern.


Welche Züchtungsmethode sehen Sie als am besten geeignet für den weiteren Fortschritt auf diesem Gebiet?
Hier muss man differenzieren: die ideale Züchtungsmethode ist immer abhängig von der Eigenschaft, welche man züchterisch bearbeiten will und den biologischen Gegebenheiten einer Kulturpflanze. Das heisst, manchmal sind ganz klassische Methoden zielführend, für andere Fragestellungen wären gentechnologische Ansätze effizienter.


Warum dauert der Zulassungsprozess für eine neue Züchtung so lange?
Jede neue Züchtung, egal mit welcher Methode diese entwickelt wurde, durchläuft eine mehrjährige Sortenprüfung, um für den Anbau zugelassen zu werden. Im Vergleich zum gesamten Züchtungsprozess, welcher in der Regel zwischen 8 bis 15 Jahre, bei manchen Kulturpflanzen sogar bis 25 Jahre dauern kann, fällt die Dauer der Sortenprüfung jedoch nicht stark ins Gewicht.


Wieviel Alleingang kann oder soll sich die Schweiz dabei leisten?
Pflanzengenetische Ressourcen und deren nachhaltige Nutzung durch die Pflanzenzüchtung kennen keine Landesgrenzen. Zudem wir haben in der Schweiz längst nicht für alle Kulturpflanzen eigene Züchtungsprogramme und sind beispielsweise auf neue Kartoffel- oder Rapssorten aus dem Ausland angewiesen.


Die jüngste Züchtungsmethode ist die bereits erwähnte Genom-Editierung. Wie funktioniert sie? Was sind ihre Vorteile?
Die Genom-Editierung erlaubt im Vergleich zu bisherigen Methoden der Pflanzenzüchtung spezifisch, das heisst an einer ganz bestimmten Stelle im Genom, Veränderungen vorzunehmen. Somit wird das restliche Erbgut einer Kulturpflanze nur unwesentlich beeinflusst. Zudem ermöglicht die Genom-Editierung gerichtete Eingriffe, zum Beispiel die Reparatur von defekten Genvarianten.


Mit Hilfe der Genom-Editierung erzeugte Neuzüchtungen gelten aktuell als gentechnisch veränderte Pflanzen und fallen unter das seit 2005 bestehende Moratorium. Jetzt soll geprüft werden, ob diese Regelung für gewissen Formen der Genom-Editierung angepasst werden soll. Welche Formen sind damit gemeint?
Ich nehme an, es handelt sich um jene Formen, welche nicht von natürlich entstehenden Mutationen zu unterscheiden sind; Australien, beispielsweise geht diesen Weg. Es gibt Länder wie die USA, welche noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass alles, was auch konventionell hätte gezüchtet werden können – einfach nur schneller und gezielter – keiner Regulation unterliege.


Und wie gross ist die Chance, dass diese Formen künftig für den Anbau in der Schweiz freigegeben werden?
Das ist eine Frage der politischen Gewichtung. Naturwissenschaftlich ist die Sachlage klar. Aber wir wissen aus anderen Diskussionen, beispielsweise zu Covid-19 oder dem Klimawandel, dass noch andere Faktoren politische Entscheidungen mitprägen.


Welches Potenzial sehen Sie in dieser neuen Methode? Wo könnte sie eingesetzt werden?
Ich sehe grosses Potenzial für Kulturpflanzen, welche genetisch sehr komplex und dadurch züchterisch schwierig zu bearbeiten sind. Die Methode sollte dort nutzbringend eingesetzt werden, wo wir dringenden Handlungsbedarf haben, respektive immer noch enorme Mengen von Hilfsmitteln eingesetzt werden müssen, bei den Äpfeln oder Kartoffeln beispielsweise. Zudem wäre Genom-Editierung hilfreich, agrar-ökologische Konzepte wie Sorten- und Arten-Mischungen praxistauglich zu machen.

Naturwissenschaftlich ist die Sache klar
Insbesondere die Genom-Editierung könnte in der Schweiz dabei helfen, den Einsatz von Pflanzenschutzmittel weiter reduzieren zu können (pixabay).
Insbesondere die Genom-Editierung könnte in der Schweiz dabei helfen, den Einsatz von Pflanzenschutzmittel weiter reduzieren zu können (pixabay).
Klinkt sich die Schweiz bei neuen Methoden aus, wäre das eine verpasste Chance für eine nachhaltigere Landwirtschaft.

Was riskiert die Schweiz, wenn sie sich da ausklinkt?
Sollte sich die Schweiz hier ausklinken, werden innovative Ansätze anderswo generiert und umgesetzt. Längerfristig würde uns ein interessantes Werkzeug fehlen, um den enormen Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Und es wäre eine verpasste Chance für eine nachhaltigere Landwirtschaft.


Urs Niggli als prominenter Bio-Forscher hat einmal in der NZZ eine Lanze gebrochen für die Genom-Editierung und Gentechnik auch im Bio-Landbau. Wie kann der Skepsis gegenüber diesen Technologien in der Bevölkerung begegnet werden?
Die Idee einer starken Verbindung zwischen Bio-Landbau und Gentechnologie ist nicht neu. Dass ein visionär denkender Mensch wie Urs Niggli diese Lanze früher oder später bricht, erstaunt mich nicht. Ähnliche starke Bewegungen sehen wir in den USA und zunehmend auch in Deutschland. Die «Greta»-Generation will Nachhaltigkeit und wird mit Paradigmen, auch zur grünen Gentechnologie, rigoros aufräumen.


Warum herrscht nur gegenüber der Gentechnologie in der Landwirtschaft und Ernährung grosse Skepsis während im Zusammenhang mit Pharmazie grosse Akzeptanz herrscht?
Viele Leute assoziieren grüne Gentechnologie mit enormen Flächen von Soja- und Mais-Monokulturen, welche regelmässig mit Flugzeugen bespritzt werden, was die Leute krank und die grossen Saatgutmultis reich macht. Solche Schreckensgespenster haben nichts mit der Technologie an und für sich zu tun, sondern mit deren fragwürdigen Anwendung. Dass Gentechnologie in einem kleinstrukturierten Land wie der Schweiz, mit hohem technischem Knowhow und sehr gut ausgebildeten Landwirten besonders nutzbringend eingesetzt werden könnte, wird kaum debattiert.


Warum ist die Schweiz bei der weiteren Erforschung der Genom-Editierung überhaupt beteiligt, wenn doch hierzulande Pflanzen, die auf diese Art erzeugt worden sind, nicht angebaut werden dürfen?
Die Schweiz ist in der Erforschung der Grundlagen zur Genom-Editierung sehr stark aufgestellt, Schweizer Projekte zur Verbesserung von Kulturpflanzen mittels Genom-Editierung sind jedoch rar – das spricht klare Worte. Wir benutzen die Genom-Editierung vor allem als effiziente Methode, um die Funktion einzelner Gene zu testen. Zudem ist es meines Erachtens verantwortungsvoll, diese innovative Technologie auch in öffentlicher Hand zu haben und nicht nur in den Händen von wenigen ganz Grossen.

Zur Person: Prof. Dr. Bruno Studer

Aufgewachsen auf einem Landwirtschaftsbetrieb studierte Bruno Studer an der ETH Zürich Agrarwissenschaften. Nach seinem Doktorat und einem längeren Aufenthalt in Dänemark kehrte er 2012 als Assistenzprofessor an die ETH Zürich zurück, wurde im Jahre 2016 als Assoziierter Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung gewählt. Zurzeit leitet er das Institut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich. Die Professur Molekulare Pflanzenzüchtung steht in enger Zusammenarbeit mit Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung und wird von der Fenaco unterstützt.

«Die Genschere revolutioniert auch den biologischen Pflanzenschutz»

Urs Niggli

Urs Niggli

Agrarwissenschafter und Präsident von Agroecology Science

«Neue genomische Verfahren in der Pflanzenzüchtung: Nachhaltigkeit braucht Innovation»

Philipp Aerni

Philipp Aerni

Wirtschaftsprofessor & Experte Corporate Responsibility and Sustainability

«Carte Blanche: Überzogene Anti-Alkohol-Strategie»

Philipp Schwander

Philipp Schwander

Master of Wine, Weinexperte und Unternehmer

«Landwirtschaft braucht eine gemeinsame Vision»

Dr. Christian Stockmar

Dr. Christian Stockmar

Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz, Österreich

«Reine Selbstüberschätzung»

Patrick Dümmler

Patrick Dümmler

Ressortleiter Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik des Schweizerischen Gewerbeverbandes

«Wir sind Europas Schlusslicht beim Pflanzenschutz»

David Brugger

David Brugger

Leiter Pflanzenbau, Schweizer Bauernverband

«Die orangen Elefanten im Raum»

Jürg Vollmer

Jürg Vollmer

Agrarjournalist

«Neuorientierung bei der Gentechnik»

Raphael Bühlmann

Raphael Bühlmann

Land- und Betriebswirt FH.

«Politik scheint resistent gegen Fakten»

Beat Keller

Beat Keller

Professor für Molekulare Pflanzenbiologie an der Universität Zürich

«Präzise Verfahren brauchen liberale Regeln»

Jürg Niklaus

Jürg Niklaus

Jürg Niklaus ist promovierter Jurist und setzt sich für Pflanzenzüchtung ein.

«Mehr Pestizide, mehr Gentechnik: Wie wir den Hunger überwinden»

Markus Somm

Markus Somm

Journalist, Publizist, Verleger und Historiker

«Die Angst vor Gentech-Pflanzen ist unnötig»

Anke Fossgreen

Anke Fossgreen

Leiterin Wissenteam Tamedia

«Politik darf Nahrungsmittelpreise nicht weiter in die Höhe treiben»

Babette Sigg Frank

Babette Sigg Frank

Präsidentin Konsumentenforum

«Chance der grünen Biotechnologie nutzen»

Roman Mazzotta

Roman Mazzotta

Länderpräsident Syngenta Schweiz

«Nachhaltigkeit bedeutet mehr»

Hendrik Varnholt

Hendrik Varnholt

Ressortleiter Industrie bei der Lebensmittel Zeitung

«Ein Drittel Bio löst das Problem nicht»

Olaf Deininger

Olaf Deininger

Entwicklungs-Chefredakteur Agrar-Medien

«Allein mit ökologischen Methoden werden wir es nicht schaffen»

Saori Dubourg

Saori Dubourg

Mitglied des Vorstands der BASF SE

«Die meisten Ängste gegenüber Pestiziden sind unbegründet»

Michelle Miller

Michelle Miller

Kolumnistin bei Genetic Literacy Project und AGDaily

Neue Technologien braucht die Landwirtschaft

Erik Fyrwald

Erik Fyrwald

CEO Syngenta Group

«Moderne Pestizide können zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen»

Jon Parr

Jon Parr

Präsident von Syngenta Crop Protection

«Wer hat Angst vor den bösen GVO?»

Jürg Vollmer

Jürg Vollmer

Agrarjournalist

«Was uns Pflanzenzüchtung bringt»

Achim Walter

Achim Walter

Professor für Kulturpflanzenwissenschaften, ETH Zürich

«Forschungs- und Werkplatz braucht Impuls»

Jan Lucht

Jan Lucht

Leiter Biotechnologie bei Scienceindustries

«Landwirtschaft spielt eine tragende Rolle»

Jan Grenz

Jan Grenz

Dozent für Nachhaltigkeit, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL

«Wirkungsmechanismen der Natur besser verstehen»

Urs Niggli

Urs Niggli

Agrarwissenschafter und Präsident von Agroecology Science

«Ernährungssicherheit braucht echte Schweizer Produktion»

Jil Schuller

Jil Schuller

Redaktorin «BauernZeitung»

«Laien lassen die Dosis völlig ausser Acht»

Michael Siegrist

Michael Siegrist

Professor für Konsumentenverhalten, ETH Zürich

«Ist Bio wirklich gesünder?»

Anna Bozzi

Anna Bozzi

Leiterin Bereich Ernährung und Agrar bei scienceindustries

«Gentechnik und Umweltschutz gehen Hand in Hand»

Dr. Teresa Koller

Dr. Teresa Koller

Forscht am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Universität Zürich

«Die «Greta»-Generation wird mit Paradigmen rigoros aufräumen.»

Bruno Studer

Bruno Studer

Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung, ETH Zürich

«Wir schützen was wir nutzen»

Regina Ammann

Regina Ammann

Leiterin Sustainability & Public Affairs, Syngenta Schweiz

«Der Kampf gegen Food Waste beginnt auf dem Acker»

Joel Meier

Joel Meier

Joel Meier ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Phytomedizin.

Ähnliche Artikel

Fehlende Vielfalt wird zum existenziellen Problem
Forschung

Fehlende Vielfalt wird zum existenziellen Problem

Die schwindende genetische Diversität auf den Feldern ist zunehmend ein Problem. Dieses wird leider laufend grösser. Auch weil die Politik in der Schweiz und der EU mit der Ideologiebrille auf das Problem schielt, statt auf die Wissenschaft zu hören.

Stillstand statt Fortschritt: Die Schweiz droht bei neuen Züchtungen zurückzufallen
Neue Züchtungstechnologien

Stillstand statt Fortschritt: Die Schweiz droht bei neuen Züchtungen zurückzufallen

Dass die neuen Züchtungsmethoden gerade auch die bäuerlichen Kreise in der Schweiz stark beschäftigen, zeigt ein Überblicksartikel im Schweizer Bauer. Darin wird die aktuelle Situation des laufenden Gesetzgebungsprozesses nachgezeichnet. Am 9. Juli endete die Vernehmlassung zum «Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien», mit dem der Bundesrat eine Zulassung dieser Verfahren ermöglichen möchte. In den kommenden Monaten wird die Regierung eine definitive Vorlage präsentieren. Dann wird sich zeigen, ob tatsächlich der politische Wille vorhanden ist, die neuen Züchtungsmethoden auch praktisch zuzulassen.

Ameisenplage bedroht Zürcher Gemeinden
Medien

Ameisenplage bedroht Zürcher Gemeinden

Eine invasive Ameise aus dem Mittelmeerraum breitet sich rasant im Kanton Zürich aus und bedroht Gemeinden ebenso wie Bauprojekte und Landwirtschaft. Insektizide könnten helfen – doch deren Einsatz ist nach wie vor stark eingeschränkt.

Die Biotechnologie hat erst begonnen
Neue Züchtungstechnologien

Die Biotechnologie hat erst begonnen

Als Frank Schirrmacher am 27. Juni 2000 die Seiten des Feuilletons der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» freiräumte, um über sechs Seiten das soeben erstmals entzifferte menschliche Genom Buchstabe für Buchstabe zu publizieren, rückte die Biotechnologie erstmals in den Fokus der breiten Öffentlichkeit.