
«Die Genschere revolutioniert auch den biologischen Pflanzenschutz»
Urs Niggli ist Agrarwissenschafter und Präsident von Agroecology Science und war bis März 2020 langjähriger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL). Er ist der Ansicht, dass neue Technologien wie die Genom-Editierung das Potenzial haben, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Donnerstag, 24. Juli 2025
Landwirtschaftlich genutzte Kulturpflanzen müssen sich veränderten Anforderungen anpassen. Die moderne Züchtung hat patente Instrumente wie etwa die Genschere hervorgebracht, welche die traditionellen Züchtungsmethoden sinnvoll ergänzen.
Seit 35 Jahren ist die Nutzung molekularbiologischer Züchtungsmethoden in der Schweizer Landwirtschaft höchst umstritten. Anfänglich herrschten Bedenken wegen möglicher gesundheitlicher Risiken für Mensch und Tier durch züchterisch mit der Gentechnik veränderte Pflanzensorten. Diese wurden abgelöst durch Befürchtungen, dass veränderte Eigenschaften von Pflanzen aus den Äckern auswildern und sich in den noch naturbelassenen Ökosystemen ausbreiten könnten.
Superunkräuter wurden befürchtet. Tausende von Schweizer und internationalen Studien aber haben diese Bedenken weitgehend zerstreut. Auch das Argument, dass eine Nutzung solcher Sorten zu verödeten Landschaften wie im Mittleren Westen der USA führen würde, waren nicht stichhaltig. Denn die Schweizer Agrarpolitik fördert die Biodiversität und die Erhaltung einer vielfältig strukturierten Landwirtschaft. Ausserhalb der Landwirtschaft fördern Bund, Kantone und Gemeinden gemeinsam eine hohe Qualität der Landschaft.
Keine Unnötigen Differenzen zur EU
Es ist absehbar, dass dank der Genschere eine Vielzahl von neuen Sorten mit verbesserten Eigenschaften auf den Markt kommen werden. Das zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien, welche in der Datenbank «EU-SAGE» abgelegt sind. Das zeigt auch eine Studie der bekannten Kritikerin Eva Gelinsky für das Bundesamt für Umwelt (Bafu). Die Genschere ist vorläufig die modernste Methode im 15 000-jährigen Bestreben der Menschen, die Pflanzen an seine Ernährung und die seines Viehs anzupassen. Der Wildkohl zum Beispiel besiedelte bereits in der Bronzezeit felsige Meeresküsten und war nicht essbar. Aus ihm wurden Blumenkohl, Brokkoli, Kohlrabi, Kohl und andere Gemüse gezüchtet.
Es ist gut, dass der Bundesrat jetzt an die gesetzliche Regelung der neuen Züchtungsmethoden geht. Aus Angst vor kritisch eingestellten Menschen schafft er mit seinem Vorschlag aber unnötige Unterschiede zum Gesetz, welches für die EU kommen wird. Die EU schlägt vor, dass Pflanzen, die nur an wenigen Stellen des Genoms gezielt verändert wurden, wie traditionell gezüchtete Pflanzen zugelassen werden. Das eröffnet Chancen für Pflanzenzüchter, auch für kleine und mittlere Unternehmen.
Der Bundesratsvorschlag macht diese Ausnahme einer erleichterten Zulassung nicht, obwohl sich diese Pflanzen nicht unterscheiden. Die Schweiz verlangt also generell bei allen Pflanzen zusätzliche Anforderungen bezüglich Sicherheitsprüfung, Deklaration bei den Konsumenten, der Warenfluss-Trennung vom Feld bis zum Tisch. Professor Justus Wesseler von der Wageningen-Universität in den Niederlanden hat berechnet, dass mit diesen Auflagen die neuen Sorten so verteuert werden, dass sie nicht angebaut werden.
Das Schweizer Regime ist auch volkswirtschaftlich ein Unsinn. Die Abhängigkeit vom EU- und vom Welthandel würde enorme Kosten bei der Futtermittel- und Lebensmittelindustrie verursachen und den Verwaltungsapparat bei Bund und Kantonen aufblähen. Vermutlich werden alle für die Schweiz wichtigen Exportländer eine erleichterte Zulassung haben, wenn sich die mit der Genschere veränderten Pflanzen nicht von mit etablierten Methoden gezüchteten Pflanzen unterscheiden. Kontrolle um der Kontrolle willen und ohne Nutzen für die Bürger.
Der Gesetzgeber erhöht die Anforderungen an die Landwirtschaft ständig. Es sollen massiv weniger chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, die organische und mineralische Überdüngung soll endlich zurückgefahren werden. Chemische Unkrautvertilger werden zunehmend geächtet. Die Bodenstruktur soll verbessert werden, um den Regenwürmern, Bakterien und Pilzen Luft zum Aufleben zu geben.
Dort, wo natürliche Landschaftselemente wie Hecken, Hochstammbäume, Waldsäume und Blühstreifen fehlen, soll wieder renaturiert werden. Auf den Äckern und den Wiesen soll es wieder blühen. Auch der Klimawandel fordert seinen Tribut. Mehrtägige Hitzeperioden bringen das Pflanzenwachstum zum Erliegen, und die Kühe müssen im Stall unter einer Sprinkleranlage gekühlt werden.
Eine neue Periode in der Landwirtschaft
Der Anpassungsbedarf der landwirtschaftlich genutzten Kulturpflanzen ist also gross und muss schnell geschehen. Hier hat die moderne Züchtung patente Instrument parat, welche die traditionellen Züchtungsmethoden ergänzen. Und das Potenzial der Genschere geht weit über die Pflanzenzüchtung hinaus. Es revolutioniert den biologischen Pflanzenschutz. Und Hefen und Bakterien können – ohne Acker- und Grasland zu verbrauchen – dank der präzisen Fermentierung Eiweisse, Fette und Aromen produzieren, welche ideale Rohstoffe für rein pflanzliche Molkerei-, Fleisch- und Eiprodukte sind.
Wir stehen also am Beginn einer neuen Periode in der Landwirtschaft und Ernährung. Vielleicht finden wir damit auch bei einer weiter wachsenden Bevölkerung wieder zurück in die Grenzen, welche uns der Planet setzt. Doch Landwirtschaft ist ein ganzes System und damit viel mehr als nur Pflanzenzüchtung. Und es wird sicher auch viele nicht einlösbare Versprechen geben – die bestehenden Chancen aber müssen genutzt werden.
Urs Niggli ist Präsident des Instituts für Agrarökologie und war langjähriger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl).
Dieser Beitrag ist als Erstveröffentlichung in der «NZZ» am 23. Juli 2025 erschienen.
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