«Ernährungssicherheit braucht echte Schweizer Produktion»
Jil Schuller ist Redaktorin bei der «BauernZeitung». Sie schreibt, dass die Ernährungssicherheit mehr umfasst, als den reinen Zugang zu genügend Lebensmitteln. Das ist mit ein Grund, weshalb die Ernährungssicherheit in der Schweiz nicht nur durch äussere Faktoren wie den Klimawandel gefährdet ist.
Mittwoch, 1. September 2021
Wenn Kulturen im Wasser ertrinken, nicht geerntet oder gesät werden können, wird das Thema Ernährungssicherheit aktuell. Vor allem, wenn man sich angesichts der Nachrichten über Brände ausser Kontrolle, Dürren oder zerstörerische Überschwemmungen wie in einem Katastrophenfilm vorkommt. Denn normalerweise gilt: Was es aus Schweizer Produktion nicht oder nicht in genügender Menge gibt, wird importiert. Nur, geht das noch, wenn die Lage im Ausland nicht besser oder schlimmer ist?
Tatsächlich hat Agroscope die Abhängigkeit von Importen als eines der drei grössten Risiken für die Schweizer Ernährungssicherheit identifiziert. Das Augenmerk lag dabei allerdings auf Produktions- statt Lebensmitteln. Auch was in der Schweiz wächst, muss schliesslich nicht völlig schweizerisch sein: Z. B. wenn das Saatgut für Schweizer Rapsöl importiert, die Fläche mit Mineraldünger versorgt und mit Wirkstoffen von internationalen Konzernen geschützt wurde.
Auch ein Strommangel würde unsere Ernährungssicherheit gefährden, so Agroscope. Strom braucht es auf allen Stufen, von der Melkmaschine über Logistik und Handel bis zum Kochherd. Mit Handmelken, Kerzen und Kopfrechnen kommt man heute nicht mehr weit.
Wenn ich aber einmal mehr hilflos am Fenster stand und hoffte, dass vom verdunkelten Himmel neben den strömenden Wassermassen nicht auch noch Hagel in Golfballgrösse niedergeht, machte ich mir weniger Sorgen um mangelnde Energie. Und am Ende hängen sowohl die Gefahr eines Strommangels als auch die ungute Abhängigkeit vom Ausland mit dem dritten grossen Risiko zusammen, das Agroscope nennt: Dem Klimawandel.
Ein Unwetter kann Leitungen umreissen, Dürren können zum Problem für Kraftwerke werden und Flüsse wegen zu hoher oder zu tiefer Pegelstände für Handelsschiffe unpassierbar machen. Und dann ist da noch das eingangs erwähnte Problem: Wenn die Ware auch im Ausland knapp ist, kann – oder darf – man dann noch importieren?
Es läuft darauf hinaus, dass wir eine möglichst breite und unabhängige Schweizer Produktion brauchen. Das hat auch den Vorteil, dass deren Standards unseren Werten entspricht, was z. B. Tierwohl und Ökologie angeht. Denn die Ernährungssicherheit umfasst nicht nur den sicheren Zugang zu genügend und guter Nahrung, diese soll auch unseren Ansprüchen und Vorlieben genügen. Rein begrifflich liesse sich das leicht beeinflussen: Die Ernährungssicherheit würde steigen, wenn Vorlieben hinterfragt und Regional-Saisonales bevorzugt würde. Für den Zugang zur Nahrung ist aber die Produktionsmenge mitentscheidend, womit wir wieder bei Ernteausfällen, aber auch Verschwendung wären.
Wirtschaftliche Argumente bringen hier wenig, denn wie Ökonom Mathias Binswanger es kürzlich auf den Punkt brachte, ist die Schweizer Landwirtschaft ein Entscheid gegen die Wirtschaft – im Ausland zu produzieren wäre billiger. Und als kaufkräftiges Land kann die Schweiz zudem im weltweiten Vergleich hohe Importpreise bezahlen. Tatsächlich haben wir «für nahezu alle Früchte und Gemüse fast während des ganzen Jahres ein Überangebot», wie es in einer Marktübersicht von Swisscofel heisst. Somit können wir uns auch containerweise Food Waste leisten.
Wir sollten uns besser eine Landwirtschaft leisten, von der alle Beteiligten leben können – in finanzieller wie in ernährungstechnischer Hinsicht. Das dürfte uns in Zukunft einiges an Kraft, Arbeit und Geld kosten, denn wie der Weltklimarat warnt, wird 2021 oder auch 2018 nicht lange ein Jahr wie kein anderes bleiben. Ganz unabhängig wird die Schweiz wohl in absehbarer Zeit nicht, aber in der Unsicherheit bietet es sich an, das Bisherige zu hinterfragen.
Insofern gilt es, ein weiteres Risiko für die Schweizer Ernährungssicherheit auszuräumen: Rein wirtschaftliches Denken. Denn Einkaufstourismus, Schnäppchenjagd und fehlendes Bewusstsein für die Wichtigkeit des Zweiklangs «regional-saisonal», aber auch starre Übernahmenormen und undurchsichtige Margen üben Druck auf die Inlandproduktion aus.
Dabei sitzen wir alle im selben Boot, oder besser: Im selben Land. Und die vielen Bergketten, Pässe und Seen an unseren Grenzen ändern nichts daran, dass wir uns gerade mitten in der Klimakrise wiederfinden. «Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind», soll Albert Einstein gesagt haben. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen.
Jil Schuller ist Redaktorin bei der «BauernZeitung». Dieser Beitrag erschien als Erstveröffentlichung in der «BauernZeitung» vom 27. August 2021.
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