«Neue genomische Verfahren in der Pflanzenzüchtung: Nachhaltigkeit braucht Innovation»
Philipp Aerni ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg und Direktor des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS).
Dienstag, 6. Mai 2025
Das Schweizer Stimmvolk hat sich 2005 für ein temporäres Moratorium von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft entschieden. Die Wissenschaft sollte die Risiken für Umwelt und Gesundheit genauer untersuchen. Diese Resultate lagen im Herbst 2012 vor, doch bereits kurz zuvor hatte sich das Parlament für eine weitere Verlängerung des Moratoriums entschieden. Das war bequem, denn es machte eine Diskussion der sehr differenzierten Forschungsresultate unnötig.
Wie zahlreiche weitere öffentlich finanzierte Risikoforschungsprogramme zu GVO in Europa konnten auch die Schweizer Forscher nur Risiken identifizieren, die bereits aus der konventionellen Landwirtschaft bekannt sind.
Glaubensfragen
Das Moratorium wurde seither ohne grosse Diskussion mehrmals verlängert und soll ab 2025 nochmals um fünf Jahre verlängert werden – und dies, obwohl Gentechpflanzen seit über dreissig Jahren auf mittlerweile über 200 Millionen Hektaren weltweit angebaut werden. Doch mittlerweile spielt das alles keine Rolle mehr, denn die konkrete Erfahrung der Bauern im Feld oder die Risikoforschung haben keine Relevanz mehr, wenn es um Glaubensfragen geht.
Der Glaube, dass die grüne Gentechnik des Teufels sei, scheint nun aber nicht so leicht auf neue Züchtungstechniken anwendbar zu sein. Diese neuen genomischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung sind in aller Munde, seit zwei Forscherinnen im Jahr 2020 den Nobelpreis für die Entdeckung der sogenannten Genschere erhielten.
Mit diesem in der Natur entdeckten Tool erübrigt sich das Einschleusen von artfremden Genen weitgehend, und somit geht es eigentlich bloss um eine präzisere und gezieltere Form der Mutagenese, einer künstlichen Züchtungstechnik, mit der seit den 1960er Jahren über 3600 mutierte Nutzpflanzen erzeugt wurden. Diese Pflanzen werden auch in der Schweiz ohne spezielle Kennzeichnung seit vielen Jahrzehnten bedenkenlos konsumiert.
Bei der Mutagenese handelt es sich zwar gemäss EU-Recht auch um Gentechnik, doch sie habe sich bewährt und könne daher von der Gentechregulierung befreit werden.
Mittlerweile sind auch diverse geneditierte Nutzpflanzen ausserhalb von Europa erfolgreich kommerzialisiert worden; in vielen Fällen ermöglichten sie es den Bauern, trotz Klimawandel bessere Ernten mit weniger Chemikalieneinsatz zu erzielen.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich der Schweizerische Bauernverband 2023 entschieden hat, den Nutzen solcher neuen Züchtungstechniken genauer unter die Lupe zu nehmen. Sein Umdenken hat dann auch dazu geführt, dass das Parlament eine erneute Verlängerung des Moratoriums nach 2025 nicht mehr einfach nur passiv durchwinkte, sondern den Bundesrat aufforderte, einen Gesetzesentwurf für eine separate Regulierung der neuen Züchtungstechniken vorzubereiten.
Natur als leere Metapher
Dieser Gesetzesentwurf wurde von Bundesrat Albert Rösti am Anfang April 2025 präsentiert, wobei er hervorhob, dass ein risikobasierter Ansatz bei der Beurteilung von Neuzulassungen zur Anwendung kommen soll. Auch würden die neuen Züchtungstechniken strikter reguliert als in der EU.
Das geht jedoch den altbekannten Umwelt- und Bio-Organisationen zu wenig weit. Sie verweisen auf die kritische Haltung der Bevölkerung, die sie ja wesentlich mit geprägt haben. Es gehe ihnen primär um den Schutz der Natur vor Kontamination. Häufig dient der Naturbegriff aber bloss als leere Metapher für alles, was einem vertraut und zugleich bedroht erscheint. Das Neue kann per se nicht «naturnah» sein und ist somit Gegenstand des Misstrauens – es sei denn, es weist eine Verwandtschaft mit Bewährtem auf.
Genau das ist aber bei den neuen Züchtungstechniken der Fall, denn sie sind primär eine Präzisierung der bewährten und akzeptierten Gentechnik – nämlich der Mutagenese. Viele Umweltschützer, Landwirte und Wissenschafter erkennen dies und weisen die Gentechgegner darauf hin, dass es auch ihnen um Ethik und Nachhaltigkeit gehe. In Zeiten des Klimawandels funktioniert Nachhaltigkeit nicht ohne Innovation. Es braucht neue Lösungen, basierend auf Techniken, die sich in der Vergangenheit bewährt haben.
Philipp Aerni ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg und Direktor des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS).
Dieser Beitrag ist als Erstveröffentlichung in der «NZZ» am 5. Mai 2025 erschienen.
Ähnliche Artikel
Was wirklich im Einkaufskorb steckt
Gentechnik im Einkaufskorb? Ja – und viel häufiger, als wir denken. Ob Pasta, Brot oder Gemüse: Viele unserer Alltagsprodukte stammen aus Mutationszüchtungen, die ein Eingriff ins Genom sind und als sicher gelten. Höchste Zeit, mit gängigen Mythen aufzuräumen.
Die genomischen Züchtungsmethoden bekommen keine Chance, sich zu beweisen
Moderne genomische Züchtungsmethoden gelten rechtlich als Gentechnik – und sind deshalb bis heute faktisch blockiert. Dabei essen wir seit Jahrzehnten gentechnisch veränderte Pflanzen, nur unter dem Etikett «klassische Mutagenese». Die neuen, präziseren Verfahren werden strenger reguliert als die alten, obwohl sie wissenschaftlich als sicherer gelten. Ein Widerspruch, der dringend korrigiert werden müsste. Die EU geht mit gutem Beispiel voran..
Old Stories Die Hard – wenn (Bio-)Marketing den Blick auf die Realität verstellt
Eine ORF-Doku zeigt, was viele Bio-Anhänger nicht hören wollen: Mutagenese ist Gentechnik – und steckt seit Jahrzehnten in unzähligen Sorten. Trotzdem fordern Bio-Händler wie REWE & dm Kennzeichnungspflichten für neue Züchtungsmethoden. Wissenschaftlich ergibt das keinen Sinn.
Tatort: Ein Griff in den künstlerischen Giftschrank
Die Tatort-Folge «Letzte Ernte» überschreitet die Grenze zwischen Fiktion und politischer Botschaft deutlich: Wissenschaftliche Fakten werden zugunsten eines aktivistischen Narrativs verzerrt. Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit in den künstlerischen Giftschrank greift, zeigt Ludger Wess in seinem Beitrag – und ordnet ein, was der Krimi wirklich über Landwirtschaft, Pflanzenschutz und mediale Verantwortung erzählt.