Meinungen
Jan Lucht

«Forschungs- und Werkplatz braucht Impuls»

Jan Lucht ist Leiter Biotechnologie bei Scienceindustries (Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences). Er ist der Ansicht, dass die Schweiz in Sachen Gentechnologie dringend ein Ende der Denkpause braucht. Der gesetzliche Rahmen muss zügig angepasst werden.

Mittwoch, 22. September 2021

In der laufenden Herbstsession kommt das Thema Gentechnologie einmal mehr aufs politische Tapet – am 23. September wird es im Nationalrat diskutiert. Wer glaubt, der erfolgreiche Einsatz der Technologie für die Produktion der Covid-Impfstoffe führe zu einer Entkrampfung der Diskussion, sieht sich getäuscht.

Die Gegner beharren auf ihren Ängsten und Befürchtungen. Es droht eine Verlängerung der Denkpause, in der die dringend erforderliche Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen an die rasche wissenschaftliche und technologische Entwicklung einmal mehr auf die lange Bank geschoben wird. Die Schweiz verliert so die Möglichkeit, die Entwicklung innovativer Technologien mitzugestalten und von ihren Anwendungen zu profitieren. Jetzt braucht es dringend konstruktive Ansätze für eine Weiterentwicklung statt einer erneuten Pause vom Denken.

Weltweit nimmt der Einsatz gentechnischer Verfahren nicht nur in der Medizin, sondern auch für die Produktion in der Industrie und der Landwirtschaft stetig zu. Einen grossen Schub haben die Entwicklungen durch die neu verfügbaren Werkzeuge der Genom-Editierung (z.B. Crispr/Cas9) erhalten. Sie erlauben präzise Veränderungen im Erbgut von Organismen, an exakt vorbestimmten Positionen.

Das ist ein enormer Fortschritt verglichen mit älteren, ungezielten Verfahren, wie der verbreiteten Behandlung mit ionisierenden Strahlen oder mit erbgutverändernden Chemikalien. Zu Recht wurden Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, die massgeblich zu den Entwicklungen beigetragen haben, 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet.

Besonders gut sichtbar ist der Einsatz neuer gentechnischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung, wo sie einen wahren Innovationsschub ausgelöst haben. Bereits jetzt befinden sich Hunderte Produkte der Genom-Editierung in der Entwicklungspipeline. Viele sind weit fortgeschritten, die ersten haben den Markt erreicht.

Gemäss einer im April veröffentlichten Studie der EU-Kommission beschäftigen sich weltweit 115 Projekte mit Verbesserungen der Produktqualität, zum Beispiel einer gesünderen Fettsäurezusammensetzung. 113 Projekte sind auf eine bessere Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge ausgerichtet.

Das ist eine wichtige Voraussetzung für die von der Gesellschaft geforderte Reduktion der Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln. 88 Projekte wollen Ertrag und Wuchs der Pflanzen verbessern, 38 arbeiten an für Umwelt- und Klimastress weniger anfälligen Nutzpflanzen – ebenfalls von grosser Zukunftsrelevanz angesichts des Klimawandels. Nur knapp 8% der laufenden Entwicklungsarbeiten beschäftigen sich mit Herbizidtoleranz, der gegenwärtig im Anbau dominierenden Eigenschaft klassischer gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Die meisten Anwendungen der Genom-Editierung werden von öffentlichen Einrichtungen oder jungen, dynamischen Biotechnologieunternehmen vorangetrieben.

Aber nicht einzig auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtung werden die neuen Verfahren eingesetzt. Mikroorganismen werden verbreitet durch Genom-Editierung für die Produktion industriell relevanter Chemikalien in Bioreaktoren optimiert. Oft geht es dabei um die Entfernung unerwünschter Eigenschaften, wie Antibiotikaresistenzgenen.

Es gibt auch Anwendungen bei Mikroorganismen in der Umwelt. Der EU-Bericht nennt als Beispiel Stickstoff fixierende Bodenbakterien, die die Nährstoffversorgung von Pflanzen verbessern und den Düngerbedarf reduzieren.

Im Gegensatz zum globalen Trend stagniert in der Schweiz dagegen die Entwicklung möglicher Anwendungen in vielen Gebieten, weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen den rapiden wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen immer mehr hinterherhinken.

Das schweizerische Gentechnikgesetz stammt aus dem Jahr 2003. Das seit 2005 geltende Gentech-Moratorium, das mit wechselnden Argumenten immer wieder verlängert wurde, hat das politische Bewusstsein für den wachsenden Handlungsbedarf nicht beflügelt – Anpassungen der Rahmenbedingungen wurden seither nur halbherzig oder gar nicht in Angriff genommen. Auf die 2018 vom Bundesrat angekündigten Ansätze für eine Aktualisierung des Gentechnikrechts warten Wissenschaft und potenzielle Anwender bisher vergebens.

Dabei stellen sich drängende Fragen: Wie kann eine differenzierte und dem Risiko angepasste Beurteilung unterschiedlicher Verfahren vorgenommen werden, statt wie bisher alle Produkte gentechnischer Verfahren über einen Kamm zu scheren und pauschal als restriktiv zu regulierende «gentechnisch veränderte Organismen» einzustufen? Sind völlig verschiedene Bestimmungen für identische Produkte sinnvoll, nur weil sie mit unterschiedlichen Verfahren erzeugt wurden? Wie kann man Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für naturidentische, genomeditierte Importprodukte regeln, bei denen sich ein gentechnischer Eingriff gar nicht nachweisen lässt?

Immerhin nehmen Anwendungen der Genom-Editierung global rapide zu, unabhängig von unseren Entscheidungen in der Schweiz. Schliesslich: Wie können wir die Regulierung neuer Technologien so weiterentwickeln, dass begründete Bedenken berücksichtigt werden, aber die Anwendung für gesellschaftlich und politisch gewünschte Ziele, wie eine nachhaltigere Landwirtschaft und eine ressourcenschonende Produktion, nicht völlig blockiert wird?

Unabhängig von der Diskussion über eine weitere Moratoriumsverlängerung müssen jetzt endlich die schon lange überfälligen Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen für gentechnische Verfahren an den Stand der weltweiten Entwicklung, in Wissenschaft und praktischer Anwendung, in Angriff genommen werden. Viele Länder haben bereits innovationsfreundliche Regulierungsansätze in Kraft gesetzt, in Europa arbeiten sowohl Grossbritannien als auch die EU derzeit daran.

Mit ihrem Stillstand auf diesem global sehr dynamischen Gebiet gerät die Schweiz zunehmend ins Hintertreffen im internationalen Wettbewerb. Das schadet auch dem Forschungs- und Werkplatz Schweiz.

Jan Lucht ist Leiter Biotechnologie bei Scienceindustries (Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences). Dieser Beitrag ist als Erstveröffentlichung in Finanz und Wirtschaft am 22. September 2021 erschienen.

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