
Die orangen Elefanten im Raum
Migros und Coop sind die orangen Elefanten in der Schweizer Landwirtschaft, die man nicht übersehen kann – bei denen aber Produzentenorganisationen, Schweizer Bauernverband, Wettbewerbskomission, Preisüberwacher, Behörden und Politiker wegschauen. Aus Angst vor Nachteilen und Repressionen oder aus Gleichgültigkeit, kritisiert der ehemalige «die grüne»-Chefredaktor Jürg Vollmer in seinem Editorial.
Dienstag, 21. Januar 2025
In den Schweizer Landwirtschaftsschulen, an der HAFL in Zollikofen und bei den Agrarwissenschaftlern an der ETH in Zürich gehört der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski nicht zur Pflichtlektüre. Vielleicht sollte man das aber einführen, zumindest die Lektüre von Dostojewskis Roman «Böse Geister».
Dostojewski schildert darin einen Besucher, im Naturmuseum, der sich derart auf die kleinen Käfer fokussiert, dass er den lebensgrossen Elefanten gar nicht bemerkt, der mitten im Raum steht.
«Der Elefant im Raum» ist seither auch bei uns eine Metapher für ein offensichtliches Problem, das man nicht übersehen kann, bei dem man aber trotzdem wegschaut. Aus Angst vor persönlichen Nachteilen und Repressionen oder aus Gleichgültigkeit.
In der Schweizer Landwirtschaft stehen gleich zwei Elefanten im Raum. Riesige orange Elefanten. Sie heissen Migros und Coop.
Migros und Coop beherrschen über 80 Prozent des Lebensmitteldetailhandels
Diese Milliardenkonzerne bilden im Schweizer Lebensmittelmarkt ein Duopol, das (zusammen mit Denner, der zu Migros gehört) über 80 Prozent des Schweizer Lebensmitteldetailhandels beherrscht. Bei Label-Schweinefleisch liegt der Marktanteil bei 85 Prozent, bei Label-Kalbfleisch sogar über 90 Prozent. Eine derart extreme Machtballung gibt es nirgends auf der Welt.
Die Schweizer Landwirte und Landwirtinnen sind Migros und Coop auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Denn neben den beiden Elefanten stehen nur noch Aldi (6,5 Prozent), Lidl (4 Prozent), Volg (4 Prozent) und ein paar Zerquetschte im Raum.
Wer nur für Migros produziert, verzichtet auf den Marktanteil von Coop und liefert sich den Launen der Migros aus. Und umgekehrt. Aber selbst wenn sie für Migros und Coop produzierten, wären die Landwirte von den beiden Elefanten abhängig. Das Duopol bestimmt deren Margen.
Weil es kein Marktmonopol geben darf, spielt das Nash-Gleichgewicht
Man könnte dabei an ein Kartell denken, das sich ein Markt-Monopol schafft. Weil das offiziell nicht sein darf, kommt es zum sogenannten Nash-Gleichgewicht, benannt nach dem Mathematiker und Wirtschaftsnobelpreisträger John Nash.
Dabei wählen Migros und Coop einzeln ihre beste Strategie – mit Blick auf die Entscheidungen des jeweils anderen: Bei den Produzentenpreisen für die Landwirte schaut Migros, was Coop macht, und Coop schaut, was Migros macht. So, dass sie sich gegenseitig nicht allzu hart konkurrieren.
Alle schauen weg, um die orangen Elefanten Migros und Coop nicht zu verärgern
Und die Macht der beiden Elefanten geht noch viel weiter: Preisüberwacher Stefan Meierhans wollte Ende Dezember 2022 einen Bericht über überhöhte Margen bei Bioprodukten veröffentlichen. «Hochbrisante Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit dürfen», vermutet die Stiftung für Konsumentenschutz SKS. Tatsächlich übte die Migros so starken Druck auf den Preisüberwacher aus, dass dieser schliesslich einknickte.
Jetzt würde man erwarten, dass der Schweizer Bauernverband SBV und die Produzentenorganisationen auf die Hinterbeine stehen und lautstark intervenieren. Aber der SBV und die Produzentenorganisationen führten eindrucksvoll vor, wie lautstark man schweigen kann, wenn zwei orange Elefanten im Raum stehen. Und auch andere Akteure schauen lieber weg.
Die Wettbewerbskommission Weko – die früher treffender Kartellkommission hiess – im Departement von Guy Parmelin findet keine Hinweise auf Preisabsprachen oder fehlenden Wettbewerb. Eine Untersuchung wegen «relativer Marktmacht» – weil die Landwirte von Migros oder Coop abhängig sind, weil sie wenig Ausweichmöglichkeiten haben – scheitert daran, dass die Weko «über zu wenig Kenntnisse über die Geschäftsverhältnisse zwischen Landwirten und Detailhändlern verfügt».
Vielleicht sollte Dostojewskis Roman über den Elefanten im Raum auch beim Bauernverband und in der Wettbewerbskommission zur Pflichtlektüre werden.
Jürg Vollmer war bis 2024 Chefredaktor der Zeitschrift «die grüne». Der Beitrag erschien als Erstveröffentlichung in «die grüne» vom 26. Januar 2023.
Ähnliche Artikel

36-facher Ertrag auf einem Quadratmeter – dank Indoor-Farming
Das Berliner Start-up OrbiFarm revolutioniert mit Indoor-Farming die Produktion von pflanzlichen Proteinen und Arzneipflanzen. Das Potenzial ist enorm: Der Ertrag ist bis zu 36-mal höher als im klassischen Ackerbau – und das ganz ohne Erde, Wetter oder lange Transportwege.

Den Gegnern grüner Gentechnik fehlen Fakten. Ihre Antihaltung ist gefährliche Ideologie
Die Schweiz und die EU entscheiden 2025 über den Anbau mittels neuer Züchtungstechnologien veränderter Pflanzen. Eine Zulassung ist vernünftig – und längst überfällig. Denn Gentechnik ist bereits heute verbreitet.

«Swiss-Finish» mit bitterem Nachgeschmack: Der Rapsanbau stirbt leise
Der «Swiss-Finish» bei der Zulassungspraxis hat auch vor dem einheimischen Rapsanbau nicht haltgemacht. Strenge Zulassungsverfahren und der Mangel an zugelassenen Pflanzenschutzmitteln führen zu sinkenden Anbauflächen und geringeren Erträgen. Experten warnen, dass ohne funktionierende Alternativen das Ende der Produktion von Schweizer Raps näher rückt. Und Bio-Raps gibt es erst recht praktisch keinen mehr.

«Es gibt kein chemiefreies Essen – hat es nie gegeben und wird es auch nie geben»
Chemische Rückstände in unseren Lebensmitteln werden in den Medien immer wieder heiss diskutiert. Ein Blick nach Österreich zeigt: Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine rückstandsfreie Lebensmittelproduktion möglich ist. Denn es gibt Rückstände aus natürlichen wie synthetischen Quellen. Und bei allen gilt: Die Menge macht das Gift.