Neuorientierung bei der «Gentechnik»
Seit der nobelpreisprämierten Entdeckung der Genschere sucht die Politik nach einem neuen Ordnungsrahmen für die Technologie. Dabei steht nicht nur die Schweiz am Scheideweg. Die Wissenschaft will sich mehr Gehör verschaffen.
Donnerstag, 9. Mai 2024
Die moderne Welt ist komplex. Sehr. Und so sind es die Berufsfelder geworden. Egal, ob Heizungsinstallateur, Finanzexperte oder Landwirt, heute verlangt jedes Fachgebiet Spezialisten. Viel wird entsprechend in die Ausbildung investiert. Dafür geliefert wird gerade in der Schweiz erstklassige Arbeit. Auf der Konsumseite und als Teil dieses Systems muss man sich auf Expertisen verlassen können. Mit dem Auto, das man in die Garage fährt, gibt man entsprechend auch seinen Anspruch über die Beurteilung des Fahrzeuges ab. Man vertraut darauf, dass die Mechaniker wissen, was sie tun.
Geht es nicht um ein Auto, sondern um unsere Lebensgrundlagen wie Gesundheit oder Nahrungsmittel wird unser Informationsanspruch grösser. Das richtige Tierwohl oder nötige Impfungen sind stetig Gegenstand öffentlicher Debatten. Für den Umgang mit solch sensiblen Themen wenden wir grosse Mittel für Universitäten, für Studien und für Forschung auf. Die Schweiz gilt als einer der führenden Forschungsstandorte. Und trotzdem: Anders als beim Beispiel mit dem Auto, scheint es hierzulande um das Vertrauen in die Wissenschaft nicht zum Besten zu stehen. Ob Corona-Impfung oder Gentechnik, die Skepsis gegenüber der Forschung ist gross. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden angezweifelt, um stattdessen unqualifizierte Meinungen auf den sozialen Medien zu verbreiten. Dabei sollte es doch gerade die Wissenschaft sein, die die bestmöglichen Fakten für die wichtigsten Fragen unserer Zeit liefert.
Auch im Fall der sequenzierten Genomeditierung formiert sich bereits massiver Widerstand. Im Sommer will der Bund einen Gesetzesentwurf zur Regulierung der neuen Gentechnik in die Vernehmlassung schicken. Dieser dürfte sich an der Ausrichtung der EU orientieren. Die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) versteht sich als kritisches Forum in dieser Frage und hat die Petition «Gentech-Moratorium verlängern. Für den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt» lanciert. Hinter der SAG stehen rund 25 Schweizer Verbände aus den Bereichen Umwelt, Naturschutz, Tierschutz, Medizin, Entwicklungszusammenarbeit, biologischer Landbau und Konsumentenschutz. Sie argumentieren, dass die «Gentech-Konzerne» das Parlament und den Bundesrat massiv unter Druck setzen würden und dass die Mehrheit der Bevölkerung keine Lebensmittel, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden, essen möchte. Auch die Bauern und Bäuerinnen würden gentechnikfreies Saatgut wollen. «Die Pläne der Gentechnik-Lobby hätten unvorhersehbare und irreversible Auswirkungen auf unsere Natur», so die Argumentation.
Für die Befürworter ist es bedauernswert, dass mit solch vorauseilender Pauschalkritik der Nährboden für eine Grundsatzdiskussion entzogen wird. Anstatt sich auf Risikenund auf Möglichkeiten der modernen Züchtungsverfahren einzulassen, werden aus Sicht der Befürworter altbewährte Ängste geschürt. Das Moratorium sei unbestritten, bei einer Aufhebung käme zu einer Abhängigkeit der Chemiekonzerne oder man kenne die Auswirkung einer Freisetzung nicht. Bio Suisse hat vergangene Woche zudem eine Volksinitiative gegen die neue Gentechnik angekündigt.
Die Weigerung, sich inhaltlich auf die Gefahren und auf die Möglichkeiten einzulassen, kann man vor allem aus wirtschaftlicher Optik nachvollziehen. Oder wie es Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands, in der Debatte um die letzte Moratorium-Verlängerung formulierte: «Solange der Verzicht auf Gentechnologie von den Konsumenten als Qualitätsargument wahrgenommen wird, gilt es, auf diesen Mehrwert zu setzen.» Ein Mehrwert, den man nachvollziehen kann, solange dieser als Mehrwert existiert. Wenn die EU die Genomeditierungszulassung erweitert, könnte durch den immensen Warenfluss dieser Mehrwert ziemlich schnell erodieren.
Sollten sich in der Folge die Vorbehalte gegenüber der sequenzierten Genomeditierung in Europa und in der Schweiz tatsächlich ins Positive verkehren, beziehungsweise, wenn diese Editierung tatsächlich als nachhaltig und umweltschonend anerkannt würde, müssten einige Mantras neu geschrieben werden. Denn was nachhaltige Lebensmittel sein sollen, das haben uns die Marketingstrategen verschiedener Labels in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich eingetrichtert.
Wir als Gesellschaft täten allerdings sehr gut daran, die lauten Marktschreier zu überhören, um die Stimmen der Forschung zu vernehmen. Denn eines ist klar: Die Versorgung mit gesunden und sicheren Nahrungsmitteln wird eine der grössten Herausforderungen für die kommenden Generationen. Und wenn wir in einer so komplexen Welt nicht auf die Wissenschaft hören wollen, auf wen dann?
Raphael Bühlmann ist Land- und Betriebswirt FH. Seit 2023 schreibt er zudem für den «Schweizer Bauer». Dieser Bericht erschien am 27. April 2024 im «Schweizer Bauer» .
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