«Wir schützen was wir nutzen»
Regina Ammann ist Leiterin Sustainability & Public Affairs von Syngenta Schweiz. Die Vielfalt der Ökosysteme, Arten und Kulturpflanzen sind von unschätzbarem Wert. Sie sind zu schützen. Das ist unbestritten. Doch beim «Wie» spalten sich die Meinungen. Ein Grund liegt in der Wahrnehmung der Biodiversität als etwas Statisches, das unter absoluten Schutz gehört.
Montag, 8. Juni 2020
Tatsächlich ist die Natur im steten Wandel. Und der Mensch hat die Natur immer auch gestaltet. So entstanden viele Alpwiesen mit ihrer reichen Biodiversität nur dank Rodung durch unsere Vorfahren zwecks landwirtschaftlicher Nutzung.
Der Wirtschaft liefert die Natur immer wieder Ideen für neue Medikamente und Produkte – zum Beispiel durch die Beobachtung, dass unter den Karminroten Zylinderputzer-Pflanzen fast kein Unkraut wächst. Im Labor zeigte sich: Diese Pflanzen produzieren eine Substanz, die das Wachstum anderer Pflanzen hemmt. Ein neues Mittel gegen Unkräuter war entdeckt.
Der Haken: Ein Flächenverbrauch von bis zu 9 kg/ha. Um die nötige Substanzmenge zu extrahieren, hätte man riesige Zylinderputzer-Plantagen anlegen müssen. Also nahm man deren chemische Struktur als Inspiration und begann, ähnliche Verbindungen mit den gewünschten Eigenschaften zu synthetisieren.
Elf Jahre später resultierte daraus der strukturverwandte Wirkstoff Mesotrion. Er ist 50-100 Mal wirksamer als die Natursubstanz und sicher in der Anwendung. Das in Anlehnung an die Ursprungspflanze benannte Herbizid Callisto wurde auch im Schweizer Markt eingeführt und seither stetig weiterverbessert.
Das Beispiel zeigt: Unser Hang zur «Natürlichkeit» kann ebendiese Natur schädigen – und Synthetik aus dem Labor hilft, natürliche Ressourcen zu schützen.
Auch Züchtung und Anbau profitieren von der Biodiversität. Unsere Nutzpflanzen sind weiterentwickelte Wildpflanzen; so wurde Mais von den Mayas aus dem Teosinte-Gras gezüchtet. Und Kulturpflanzen brauchen für ihr Wachstum Mikroorganismen im Boden oder die Dienstleistung bestäubender Insekten. Sich diesen Nutzen vor Augen zu führen ist der erste Schritt zum Schutz. Salopp ausgedrückt: «Wir schützen, was wir nutzen.»
Biodiversität braucht Vernetzung, damit sich Arten erhalten und vermehren können. Auch unsere eigene Vernetzung hilft: Im Austausch mit Menschen ausserhalb des eigenen Tätigkeitsbereichs erfahren, warum sie der Biodiversität welchen Wert beimessen.
Daraus können sich gemeinsame Schutzprojekte oder sogar Geschäftsmodelle entwickeln. Im Klimaschutz gibt es Anreize für Landwirte, Kohlenstoff im Boden zu speichern und dafür vom Markt «Carbon Credits» zu erhalten. Warum nicht auch «Biodiversity Credits»?
Regina Ammann ist Leiterin Sustainability & Public Affairs von Syngenta Schweiz. Dieser Beitrag ist in der «BauernZeitung» vom 9. März 2021 erschienen.
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