Meinungen
Anke Fossgreen

«Die Angst vor Gentech-Pflanzen ist unnötig»

Gentechnisch veränderte Pflanzen haben einen schlechten Ruf. Doch mit den neuen Methoden sind sie kaum von herkömmlichen Züchtungen zu unterscheiden, schreibt Anke Fossgreen im «Tages-Anzeiger».

Donnerstag, 25. Mai 2023

Der Dachverband der biologischen Landwirtschaft, Bio Suisse, hat am Dienstag bei der Delegiertenversammlung einstimmig beschlossen, weiterhin auf Gentechnik zu verzichten.

Das Ergebnis ist nicht überraschend, aber enttäuschend. Es zeigt, dass die Biobäuerinnen und -bauern die Errungenschaften in der modernen Züchtungsforschung ignorieren und einmal mehr den schlechten Ruf gentechnisch veränderter Nahrungsmittel zementieren.

Dabei bieten gerade künftige Gentech-Pflanzen Möglichkeiten, die auch für die Biolandwirtschaft wichtig sein sollten: Die veränderten Pflanzen können zum Beispiel resistent gegen Krankheiten sein, benötigen also weniger Pflanzenschutzmittel, oder haltbarer, was Food-Waste vermeidet, oder sie widerstehen der Trockenheit, was beim Klimawandel nötig ist.

Warum wollen viele Konsumentinnen und Konsumenten aber keine Gentech-Pflanzen essen und keine Tiere, die mit solchen Pflanzen gefüttert wurden?

Diese Pflanzen – Weizen, Mais, Soja und Co. – sind suspekt, weil ihr Erbgut im Labor verändert wurde. Dabei ist die Angst vor «fremden Genen» irreal. Schliesslich nehmen wir mit jedem Apfel die Gene der Frucht auf, mit dem Brot die des Korns und mit einem Schnitzel die Gene eines Schweins. Macht uns das krank, oder verändert uns das irgendwie? Nein. Wir zerlegen bei den Verdauungsprozessen nicht nur Proteine, Kohlenhydrate und Fette, die wir mit der Nahrung aufnehmen, sondern wir bauen genauso auch das fremde Erbgut ab und nutzen es, um unseren Körper am Laufen zu halten.

Die Diskussion geht nicht mehr um die veränderte Pflanze, sondern um das Verfahren, mit dem sie hergestellt wird.

Hinzu kommt, dass die Gentechnologie grosse Fortschritte gemacht hat. Heutige Gentech-Pflanzen sind so gut wie nicht mehr von herkömmlichen Züchtungen zu unterscheiden. Das gelingt mithilfe von sogenannten Genom-Editierungs-Verfahren, zu denen zum Beispiel die CRISPR/Cas-Methode gehört. Das Erbgut wird dabei gezielt wie mit einem Skalpell leicht verändert und optimiert.

Wer zuvor ein ungutes Gefühl hatte, Gentech-Pflanzen zu verzehren, weil sie «anders» seien als herkömmlich gezüchtete, hat dafür nun kein Argument mehr. Deshalb geht jetzt die Diskussion nicht mehr um die veränderte Pflanze, sondern um das Verfahren, mit dem sie hergestellt wird.

Zur Erinnerung: Seit 1964 wurden – auch in Europa – Genveränderungen mit «gruselig» klingenden Methoden ins Erbgut von Pflanzen eingeführt. Die Pflanzen wurden auf Feldern und Gärten – inzwischen im Labor – mit radioaktiven Substanzen bombardiert. Durch diese sogenannte Mutagenese sind gemäss der Internationalen Atomenergiebehörde mehr als 3300 Pflanzensorten entstanden und in 70 Ländern freigesetzt worden. Wir nutzen und essen sie zum Teil heute noch, darunter sind viele Getreidesorten, Reis, Zitrusfrüchte – etwa eine rote Grapefruit, die auch als Bioprodukt verkauft wird.

Im Vergleich sind die modernen gentechnischen Verfahren geradezu sanft und elegant.

Das klingt vielleicht besorgniserregend, aber diese Pflanzensorten sind nicht radioaktiv, nur weil diese Strahlung zu ihrer Herstellung genutzt wurde. Ebenso wenig sind neue Pflanzensorten chemisch vergiftet, bei denen die Mutagenese durch Chemikalien ausgelöst wurde und immer noch wird. Auch so entstehen neue Sorten, die wir als «natürliche» Züchtung empfinden.

Im Vergleich dazu sind die heute diskutierten Methoden, gezielt durch moderne Genom-Editierungs-Verfahren die Eigenschaften von Pflanzen zu verbessern, geradezu sanft und elegant.

Übrigens können auch die Geschmacks- und Nährstoffe in den Pflanzen gezielt optimiert werden. Lassen wir uns also die neuen Züchtungen schmecken!

Anke Fossgreen leitet seit 2022 das Wissen-Team von Tamedia. Sie ist seit dem Jahr 2000 als Wissenschaftsredaktorin bei Tamedia tätig. Die Biologin hat während ihrer Doktorarbeit über die Alzheimerkrankheit geforscht. Sie interessiert sich für Themen rund um die Biologie, Gesundheit, Ernährung, Medizin und Bewegung. Dieser Meinungsbeitrag ist als Erstveröffentlichung im «Tages-Anzeiger» am 18. April publiziert worden.

«Die Genschere revolutioniert auch den biologischen Pflanzenschutz»

Urs Niggli

Urs Niggli

Agrarwissenschafter und Präsident von Agroecology Science

«Neue genomische Verfahren in der Pflanzenzüchtung: Nachhaltigkeit braucht Innovation»

Philipp Aerni

Philipp Aerni

Wirtschaftsprofessor & Experte Corporate Responsibility and Sustainability

«Carte Blanche: Überzogene Anti-Alkohol-Strategie»

Philipp Schwander

Philipp Schwander

Master of Wine, Weinexperte und Unternehmer

«Landwirtschaft braucht eine gemeinsame Vision»

Dr. Christian Stockmar

Dr. Christian Stockmar

Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz, Österreich

«Reine Selbstüberschätzung»

Patrick Dümmler

Patrick Dümmler

Ressortleiter Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik des Schweizerischen Gewerbeverbandes

«Wir sind Europas Schlusslicht beim Pflanzenschutz»

David Brugger

David Brugger

Leiter Pflanzenbau, Schweizer Bauernverband

«Die orangen Elefanten im Raum»

Jürg Vollmer

Jürg Vollmer

Agrarjournalist

«Neuorientierung bei der Gentechnik»

Raphael Bühlmann

Raphael Bühlmann

Land- und Betriebswirt FH.

«Politik scheint resistent gegen Fakten»

Beat Keller

Beat Keller

Professor für Molekulare Pflanzenbiologie an der Universität Zürich

«Präzise Verfahren brauchen liberale Regeln»

Jürg Niklaus

Jürg Niklaus

Jürg Niklaus ist promovierter Jurist und setzt sich für Pflanzenzüchtung ein.

«Mehr Pestizide, mehr Gentechnik: Wie wir den Hunger überwinden»

Markus Somm

Markus Somm

Journalist, Publizist, Verleger und Historiker

«Die Angst vor Gentech-Pflanzen ist unnötig»

Anke Fossgreen

Anke Fossgreen

Leiterin Wissenteam Tamedia

«Politik darf Nahrungsmittelpreise nicht weiter in die Höhe treiben»

Babette Sigg Frank

Babette Sigg Frank

Präsidentin Konsumentenforum

«Chance der grünen Biotechnologie nutzen»

Roman Mazzotta

Roman Mazzotta

Länderpräsident Syngenta Schweiz

«Nachhaltigkeit bedeutet mehr»

Hendrik Varnholt

Hendrik Varnholt

Ressortleiter Industrie bei der Lebensmittel Zeitung

«Ein Drittel Bio löst das Problem nicht»

Olaf Deininger

Olaf Deininger

Entwicklungs-Chefredakteur Agrar-Medien

«Allein mit ökologischen Methoden werden wir es nicht schaffen»

Saori Dubourg

Saori Dubourg

Mitglied des Vorstands der BASF SE

«Die meisten Ängste gegenüber Pestiziden sind unbegründet»

Michelle Miller

Michelle Miller

Kolumnistin bei Genetic Literacy Project und AGDaily

Neue Technologien braucht die Landwirtschaft

Erik Fyrwald

Erik Fyrwald

CEO Syngenta Group

«Moderne Pestizide können zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen»

Jon Parr

Jon Parr

Präsident von Syngenta Crop Protection

«Wer hat Angst vor den bösen GVO?»

Jürg Vollmer

Jürg Vollmer

Agrarjournalist

«Was uns Pflanzenzüchtung bringt»

Achim Walter

Achim Walter

Professor für Kulturpflanzenwissenschaften, ETH Zürich

«Forschungs- und Werkplatz braucht Impuls»

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Jan Lucht

Leiter Biotechnologie bei Scienceindustries

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Jan Grenz

Dozent für Nachhaltigkeit, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL

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Urs Niggli

Agrarwissenschafter und Präsident von Agroecology Science

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Leiterin Bereich Ernährung und Agrar bei scienceindustries

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Dr. Teresa Koller

Forscht am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Universität Zürich

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Bruno Studer

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Joel Meier ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Phytomedizin.

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