Meinungen
Patrick Dümmler

«Reine Selbstüberschätzung»

«Der Bäcker zahlt mit seinem Strombezug in Zukunft an die Rettung der Stahlwerke», sagt der Ressortleiter Nachhaltigkeit und Wirtschafts­politik des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Dabei könne die Politik gar nicht wissen, welches die zukunftsträchtigen Branchen seien, die sich auf lange Sicht durchsetzten.

Montag, 3. Februar 2025

Schweizerische Gewerbezeitung: Das Parlament hat in der Wintersession beschlossen, die angeschlagenen Stahl- und Aluminiumwerke in der Schweiz zu retten. Was dachten Sie als Erstes, als dieser Entscheid feststand?

Patrick Dümmler: Nein, jetzt nicht auch noch die Schweiz! Die Befürworter geben vordergründig als Argumente die Ökologie, den Schutz von Arbeitsplätzen und die Versorgungssicherheit an. Doch im Hintergrund spielen regionalpolitische Interessen und die Wählerschaft eine Rolle.


Ist das ökologische Argument denn nicht stichhaltig?

Nein. Recycling ist auch im Ausland möglich, und die Transportwege spielen beim Stahl eine untergeordnete Rolle. Da braucht vor allem die Schmelzung viel Energie. In Europa gibt es noch zig Stahlwerke, auch rund um die Schweiz. So grün wie nun dargestellt ist unser Stahl übrigens nicht. Dieser besteht zu rund einem Fünftel aus Graustrom, welcher wohl aus deutschen Kohlekraftwerken stammen dürfte.

Und wegen der Versorgungssicherheit: Stahl ist ein internationales Handelsgut, sehr gut und lange lagerbar.


Und die Arbeitsplätze?

Die Arbeit zu verlieren, das ist ein harter Schicksalsschlag. Doch wir müssen uns die Frage stellen, ob die Schweiz überhaupt noch die Standortvoraussetzungen für diese Werke mitbringt. Und da lautet die Antwort wohl eher nein.

Für die Angestellten braucht es eine Perspektive. Das ist klar. Es braucht Umschulungen, Weiterbildungen und so weiter. Bereits heute gibt es hierfür viele arbeitsmarktliche Programme und Massnahmen seitens Behörden und der Privatwirtschaft.


Mit dem Entscheid schlägt die Schweiz den unseligen Weg der Industriepolitik ein, obwohl sie bisher ohne eine solche gut gefahren ist. Was sind deren Folgen?

Industriepolitik folgt einem bekannten Muster. Zuerst bestimmt die Politik einen Gewinner in Form einer Branche oder – wie in diesem Fall – in Form bestimmter Unternehmen. Diese profitieren dann, indem sie geschützt werden. Das geschieht mit Importzöllen, mit Subventionen oder mit Vergünstigungen irgendwelcher Art.

Die Folgen davon sind weniger Druck, höhere Preise, geringere Auswahl und oft auch ungenügende Qualität. Die disziplinierende Kraft des Wettbewerbs wird ausgeschaltet. Es kommt zu Marktverzerrungen. Dieser negative Effekt wirkt sich auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz aus – und kostet uns alle Wohlstand.

Die Schweiz hatte sehr früh eine führende Textilindustrie. Hätte man diese bis heute geschützt, würde sie zwar noch existieren. Aber zu exorbitant hohen Preisen. Die Schweiz muss den Strukturwandel zulassen. Uns geht es unter anderem so gut, weil wir den wirtschaftlichen Wandel nicht ausgebremst haben.


Weshalb ist es problematisch, wenn die Politik die «Gewinner» bestimmt?

Die Politik kann gar nicht wissen, welches die zukunftsträchtigen Branchen sind, die sich auf lange Sicht bewähren und durchsetzen. Das ist Selbstüberschätzung. Sie kann sich dabei gewaltig verspekulieren. Die Folge ist, dass sehr viel Steuergeld falsch ausgegeben wird. Der Parlamentsentscheid ändert zum Beispiel nichts daran, dass die Werke in ein paar Jahren wieder am Abgrund stehen könnten. Und was dann?

Schaut man in die Forschungsliteratur, dann war Industriepolitik langfristig – auch international – nie erfolgreich.

Die Frage stellt sich, was sonst mit diesem verschwendeten Geld hätte geschehen können. Die Antwort: Es wäre wohl einfach bei den Privaten und den Unternehmen geblieben. Diese hätten es sinnvoller investiert. 100 000 Menschen wissen durch Schwarmintelligenz besser, was sinnvoll ist, als einige Politiker. Letztere sind vielfältigen Interessen ausgesetzt und müssen ihre Entscheide zudem nicht mit dem eigenen Geld bezahlen, was sie unvorsichtiger macht. Bei Misserfolg gibt es für sie zudem kaum Konsequenzen.

Kommt hinzu, dass die Finanzierung solcher spezifischer Unterstützungen allenfalls zulasten von zentralen Staatsaufgaben wie beispielsweise der Verteidigung geht. Oder sie werden über Schulden finanziert. Dann bluten zukünftige Generationen über höhere Steuern. Also die Schwächsten, die sich noch nicht wehren können.


Wenn die Stahlwerke de facto eine Staatsgarantie haben: Kann nun jeder Bäcker, jedes KMU auch nach Rettung rufen – und wo würde das hinführen?

Einzelne KMU sind zu klein, als dass ein solcher Ruf bei der Politik ankommen würde. Es wird nie ein Rettungsprogramm für eine einzelne Bäckerei geben, und diese würde das – aus Berufsstolz – wohl gar nicht wollen. Es wäre auch nicht sinnvoll.

Leider ist die Tendenz so, dass heute der Ruf nach staatlicher Unterstützung oft nicht weit ist, wenn es einer Branche schlecht geht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Staat innert kürzester Zeit Milliardenbeträge zur Verfügung stellen kann, zum Beispiel für die Banken oder in der Corona-Krise. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Sobald man «systemrelevant» sagt, fliesst das Geld. Wir müssen damit aufhören, alles als systemrelevant zu betrachten.

Wenn Industriepolitik zudem vor allem grosse, etablierte Unternehmen oder bestimmte Sektoren begünstigt, kann dies die soziale Ungleichheit verstärken. Kleine Unternehmen könnten vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossen bleiben.


Was hat das Parlament konkret beschlossen?

Es hat den beiden Stahl- und den beiden Walliser Aluminiumwerken einen vierjährigen Stromrabatt gewährt, konkret einen Rabatt auf die Netznutzungsgebühren, also auf den Transport der Energie. Die anderen Unternehmen müssen diesen Rabatt bezahlen – auch die KMU.

Der Bäcker zahlt mit seinem Strombezug in Zukunft also an die Rettung der Stahlwerke. Diese Sozialisierung der Kosten ist ungerecht und wirtschaftspolitisch falsch. Wer Strom bezieht, sollte seinen Anteil an den Systemkosten tragen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Auch das Argument, es handle sich preislich doch nur um eine Tasse Kaffee, sticht nicht. Die Frage ist, wie viele dieser allseits bemühten Tassen Kaffee insgesamt für ganz viele schädliche Dinge ausgegeben werden. Da ist doch jede einzelne Tasse schon zu viel. Zumal es am Ende die Summe ausmacht.

Übrigens: Eine solche ausserordentliche Strompreissubvention gab es bis anhin nicht, und sie ist für die Stahlwerke an verschiedene Bedingungen geknüpft. Das wird einen grossen bürokratischen Kontrollaufwand für den Bund nach sich ziehen, was mit weiterem Verwaltungswachstum einhergeht.


Wurde mit diesem Entscheid die Büchse der Pandora geöffnet?

Die ist schon länger offen, was die Staatsausgaben anbelangt. Dort fliessen viele schädliche Subventionen. Statt Industriepolitik zu betreiben und immer neue Subventionen zu sprechen, braucht es ein Revitalisierungsprogramm für die Wirtschaft. Bern sollte hierfür die Rahmenbedingungen generell verbessern. Also das Staatswachstum – und damit auch die Steuerlast – eindämmen. Leistung muss sich wieder lohnen. Gleichzeitig braucht es einen Regulierungsabbau.

Früher war erlaubt, was nicht explizit verboten war. Heute beschleicht mich das Gefühl, dass es andersherum ist: Was nicht explizit erlaubt ist, ist verboten. Das killt Innovation, welche unser Land mangels Rohstoffen für Wohlstand und Wachstum dringend braucht.


Wenn andere Staaten ihre Industrien unterstützten, müsse die Schweiz dies auch tun, so ein Argument. Sonst sei kein fairer Wettbewerb gegeben. Was halten Sie dagegen?

Der Wettbewerb kann nie völlig fair sein. Das Steuerniveau, das Arbeitsgesetz etc. sind so unterschiedlich, wie es die Länder ebenfalls sind. Und das ist gut so. Es geht hier um komparative Vorteile. Oder nehmen wir unser sehr erfolgreiches duales Berufsbildungssystem. Es käme wohl niemandem in den Sinn, dieses aus falsch verstandener Fairness auf ein weltweites Mittelmass hinunterzunivellieren.

Kurzum: Die Schweiz sollte bei diesem sinnlosen Spiel nicht mitmachen. Wir haben als Land mehrfach bewiesen, dass es besser geht.


Ist unsere Energiepolitik schuld, dass die genannten Werke ins Schleudern geraten sind?

Unsere hohen Energiekosten spielen da sicher eine Rolle. Der Umbau unseres Energiesystems hin zu Netto-Null ist gesetzlich verankert, und wir werden mehr Strom brauchen. Doch mit dem jetzt eingeschlagenen Weg kostet der Umbau zu viel Geld. Es werden Milliardenbeträge an Subventionen für Solar- und Windanlagen gesprochen – mit zweifelhaftem Nutzen. Diese Subventionen dürfen nicht noch weiter ausgebaut werden.


Warum ist der Gegenvorschlag des Bundesrats zur Initiative «Blackout stoppen» richtig?

Strom muss in genügender Menge, aber auch zum richtigen Zeitpunkt verfügbar sein. Hierfür ist Technologieoffenheit notwendig, damit alle klimaneutralen Stromerzeugungsarten in der Schweiz genutzt werden dürfen. Verbote – wie jenes zur Kernkraft – schränken die Möglichkeiten ein und führen zu Kompromissen bei der Wirtschaftlichkeit oder der Verfügbarkeit von Strom. Beides kann sich die Schweiz nicht leisten.

Der präzis formulierte Gegenvorschlag ermöglicht, dass die Schweiz wieder neue Kernkraftwerke bauen kann – aber sie muss nicht. Es soll den Marktakteuren überlassen werden, welche Art von Anlagen sie als am geeignetsten betrachten, um den Strombedarf zu decken. Wichtig ist, dass die Kernkraft nicht durch die Hintertür verhindert wird, zum Beispiel mit völlig übertriebenen Sicherheitsbestimmungen.


Zurück zu den Stahlwerken: Ausgerechnet rot-grüne Kreise, welche sich sonst mit allen Mitteln für das Energiesparen einsetzen, haben besonders intensiv für deren Rettung geweibelt. Nun befürworten dieselben Kreise die sogenannte Umweltverantwortungsinitiative, die am 9. Februar an die Urne kommt. Wie passt das zusammen?

Das passt gar nicht zusammen und erscheint fast schon schizophren. Bei Annahme dieser Verarmungs-Initiative wäre es in der Schweiz kaum mehr möglich, irgendetwas zu produzieren. Der Konsum würde extrem teuer, und der Wohlstandsverlust wäre immens.

Interview: Rolf Hug

Patrick Dümmler ist Ressortleiter Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik beim Schweizerischen Gewerbeverband. Dieser Beitrag ist als Erstveröffentlichung in der Gewerbezeitung erschienen.

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