Meinungen
Achim Walter

«Was uns Pflanzenzüchtung bringt»

Achim Walter ist Professor für Kulturpflanzenwissenschaften an der ETH Zürich. In seinem Beitrag erinnert er an die Bedeutung der Pflanzenzüchtung für unsere alltäglichen Nahrungsmittel. Die allermeisten Kulturpflanzen, die wir heute kennen, sind das Ergebnis menschlicher Züchtung und kamen so in der Natur nie vor.

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Die Idylle trügt: In jedem Weizenfeld herrscht ein Wettrüsten zwischen Kulturpflanze und Krankheiten. (Bild: Adobe Stock)
Die Idylle trügt: In jedem Weizenfeld herrscht ein Wettrüsten zwischen Kulturpflanze und Krankheiten. (Bild: Adobe Stock)

In Zeiten von Bio-​Boom und verklärter Naturromantik hat die Pflanzenzüchtung einen schweren Stand. Vergessen geht, dass ihr der Mensch seine wichtigsten Nahrungslieferanten verdankt. Fast nichts von dem, was wir heute essen, kam früher auf der Welt natürlich vor.

Der Mensch kann auf vieles verzichten – aufs Essen jedoch nicht. Letztendlich wird jede Kalorie, die wir als biochemische Energie zu uns nehmen, durch Pflanzen hergestellt. Jedes Gänseblümchen kann Photosynthese – wir nicht. Doch selbst die modernsten Methoden der Pflanzenzüchtung machen aus einem Gänseblümchen keinen Kalorienlieferanten. So etwas sollen und müssen diese Techniken aber auch nicht. Denn unsere Vorfahren haben ihre Kalorienspender längst aus anderen Pflanzenarten abgeleitet, die sich «von Natur aus» besser dafür eigneten.


Die Wurzel menschlicher Kultur

Schon vor 10‘000 Jahren wählte der Mensch die jeweils «besten» Individuen aus den Vorläufern von beispielsweise Mais, Weizen, Reis und Apfel aus und versuchte, diese Pflanzen durch Zwangsheirat mit gleich-​ oder andersartigen noch widerstandsfähiger und besser zu machen. Über tausende von Jahren hinweg galt das Gesetz der «menschlichen Selektion»: Es gewinnt, was höheren Ertrag bringt und besser schmeckt.

«Machet Euch die Erde untertan», gelobte später auch die Bibel. Vor 2000 Jahren war der Apfelbaum längst eine kultivierte Chimäre, deren Frucht-​tragenden Stamm man jung auf das Wurzelsystem einer anderen Sorte setzte – ein hoch biotechnologisches Verfahren für die damalige Zeit. Was war passiert?


Wir essen Kulturpflanzen – nicht Wildpflanzen

Allmählich hatte der Mensch aus wilden Vorläufern die modernen Kulturpflanzen gezüchtet: Unser Weizen und Dinkel sind Hybride aus den vermischten Genomen dreier Wildarten. Der Mais mit seinen aberwitzig grossen Fruchtständen ging aus der strauchigen Teosinte hervor. Und Klone von Apfel, Wein und anderen Obstgehölzen verloren die Unschuld des Wald-​ und Wiesengewächses, als man sie gezielt auf Wurzelstöcke pfropfte, die bodenbürtige Krankheitserreger in Schach halten konnten.

Effekt stetiger Selektion: Von der hageren Teosinte zum massigen Mais. (Bild: Wikimedia / John Doebley)
Effekt stetiger Selektion: Von der hageren Teosinte zum massigen Mais. (Bild: Wikimedia / John Doebley)

Bedrohte Könige

Derart optimierte Pflanzen waren einerseits Segen: Dank stetig steigender Erträge konnten sich unsere Vorfahren wirtschaftlich und kulturell entwickeln. Die Weltbevölkerung wuchs. Ihren Hunger stillt sie heute zu mehr als der Hälfte durch die «grossen Drei» – Weizen, Reis und Mais. Diese Könige unter den Kalorienlieferanten kann man nun kaum mehr ersetzen; wir hängen von ihnen ab, und das ist der Fluch.

Unsere Kulturpflanzen (und damit auch wir) haben nämlich ein gravierendes Problem: Sie müssen sich permanent gegen Krankheiten wehren. Das gilt zwar grundsätzlich für alle Lebewesen, besonders aber für unsere landwirtschaftlichen Top-​Athleten. Denn je umfangreicher wir sie anbauen, desto aggressiver wüten die Schädlinge und Erreger – das Krankheitsrisiko nimmt zu.


Resistenzen schaffen

In diesem Wettlauf ist die Pflanzenzucht eine unserer wichtigsten Waffen. Sie ist nichts anderes als ein Marktplatz der gezielten Partnervermittlung: Durch jahrelange Selektionsverfahren bringt sie immer wieder krankheitsresistente Sorten hervor – aber nur unter grossen Mühen. Die Wissenschaft versucht seit Langem, Kulturpflanzen «dauerhaft resistent» zu machen, bisher leider ohne den gewünschten Erfolg. Auf eine Verbesserung von Resistenzen zu verzichten, ist jedoch keine Option. Stillstand bedeutet Rückschritt: Eine Zukunft ohne Züchtung wäre wie eine Welt ohne Medizin.

Auch deshalb erhoffen sich Forschende viel von den modernen Züchtungsmethoden à la Crispr & Co. Diese «Genome Editing» genannten Techniken können einzelne Gene gezielt verändern oder ausschalten, ohne fremdes genetisches Material einzubauen. So lassen sich sehr effizient resistente Pflanzen erzeugen, die genetisch nicht von einer herkömmlich gezüchteten Sorte unterscheidbar sind. Das könnte sogar auch für Bio-​Bauern interessant werden. Sie müssen etwa Kartoffeln mit viel Kupfer behandeln, um die Kraut-​ und Knollenfäule in Schach zu halten. Eine resistente Sorte wäre einmal mehr ein Segen, selbst wenn sie durch Genome Editing zustande käme.

Gegen die Kraut-​ und Knollenfäule ist noch kein Kraut gewachsen. (Bild: Adobe Stock)
Gegen die Kraut-​ und Knollenfäule ist noch kein Kraut gewachsen. (Bild: Adobe Stock)

Königsweg zu mehr Nachhaltigkeit

Machen wir uns also nichts vor: Fast nichts von dem, was wir heute in Bio oder konventionell essen, kam auf der Welt vor 10‘000 Jahren natürlich vor. Die Sorten der Hauptkulturen, die wir heute haben, müssen wir an die sich ändernde Umwelt anpassen. Nicht von Jahr zu Jahr – aber in immer rascherer Abfolge.

Unsere Äcker müssen zudem diverser werden: Wir brauchen mehr Arten, auf die wir die globale Ernährung abstützen, und von diesen Arten brauchen wir zunehmend resistentere Sorten. Mehr noch: Die Sorten müssen top Qualität und Leistung erbringen, Boden und Gewässer schonen sowie mit möglichst wenig Dünger und Pestiziden auskommen. Für diesen Königsweg zur nachhaltigen Landwirtschaft wird es beides brauchen: Die neuen Methoden der Pflanzenzucht und einen ökologischen Anbau unserer Kulturarten. Beides schliesst sich nicht aus – sondern ist im Gegenteil komplementär.

Prof. Achim Walter ist Professor für Kulturpflanzenwissenschaften an der ETH Zürich. Dieser Beitrag erschien zuerst im Zukunftsblog der ETH-Zürich am 9. Dezember 2016. Eine leicht adaptierte Fassung dieses Textes erschien auch als Gastbeitrag in der Print-​Ausgabe des Tagesanzeigers vom 9. Dezember 2016.

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