
Wie regenerative Landwirtschaft und KI eine nachhaltige Landwirtschaft vorantreiben können
Können regenerative Landwirtschaft, digitale Technologien und künstliche Intelligenz helfen, den Widerspruch zwischen umweltfreundlicher und produktiver Landwirtschaft aufzulösen?
Freitag, 17. Januar 2025
Meine Familie bewirtschaftet seit Jahrzehnten rund 3000 Hektaren Land in Illinois. Wie die meisten Landwirte sind auch wir ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, um effizienter und produktiver zu werden und gleichzeitig besser mit dem Land umzugehen.
Regenerative Landwirtschaft steht für einen ganzheitlichen Ansatz, der über die reine Erhaltung des Status-quo hinausgeht. Ziel ist es, die Bodengesundheit aktiv zu verbessern, die Biodiversität zu steigern, die Ökosystemleistungen zu erhöhen und Kohlenstoff im Boden zu binden.
Die wichtigsten Grundsätze der regenerativen Landwirtschaft bestehen darin, den Boden so wenig wir möglich zu «stören», indem die Bodenbearbeitung reduziert wird und der Boden das ganze Jahr über mit Pflanzen oder Pflanzenresten bedeckt bleibt. Sie fördert auch die Erhöhung der Pflanzenvielfalt durch Fruchtfolge und Deckfrüchte und die stetige Reduktion synthetischer Produkte.
Die Ausweitung dieser nachhaltigen Praktiken auf 40% der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche könnte einen entscheidenden Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels, zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer Nahrungsmittelproduktionssysteme und zum Schutz sowohl der ökologischen Vielfalt als auch des wirtschaftlichen Wohlergehens der landwirtschaftlichen Gemeinschaften leisten.
Als Landwirt in fünfter Generation und CEO eines der weltweit grössten Agrartechnologieunternehmen habe ich die Herausforderungen und Chancen der modernen Landwirtschaft aus erster Hand erlebt: wie man nachhaltig wirtschaften und gleichzeitig die Produktivität aufrechterhalten kann.
Auf unserem Hof haben wir verschiedene regenerative Landwirtschaftspraktiken eingeführt, darunter minimale Bodenbearbeitung, Direktsaattechniken, die Verwendung von Zwischenfrüchten und die präzise Ausbringung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Wir haben eine Zunahme der verfügbaren Wasserkapazität, einen höheren Gehalt an organischer Substanz, organischem Kohlenstoff im Boden, Gesamtkohlenstoff und Aktivkohle festgestellt. Darüber hinaus konnten wir Verbesserungen bei Gesamtstickstoff- und extrahierbaren Phosphorwerten beobachten.
Landwirte, die diese regenerativen und präzisen landwirtschaftlichen Methoden anwenden, können im Laufe der Zeit erhebliche finanzielle Vorteile erzielen. Einige Studien deuten auf Gewinnsteigerungen von bis zu 120 % hin, wie eine Studie des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) vom Mai 2023 zeigt.
Smarte Technologie als Zusatz
Im Kern geht es bei der regenerativen Landwirtschaft darum, mit der Natur zu arbeiten und nicht gegen sie. Heute stehen uns digitale Tools und Smart-Farming-Technologien zur Verfügung, die uns helfen, dies effektiver zu tun.
Fortschrittliche Überwachungssysteme und Präzisionslandwirtschaft haben sich zu mehrdimensionalen Lösungen entwickelt, die es Landwirten ermöglichen, Verbesserungen zu verfolgen und Probleme mit bisher unerreichter Genauigkeit zu erkennen. Diese Technologien integrieren Daten von Satelliten, Drohnen und Bodenübersichtskarten, um den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu steuern und Krankheiten sowie Schädlinge frühzeitig zu erkennen.
Predictive Performance Analytics (Vorausschauende Leistungsanalysen) revolutionieren das Betriebsmanagement, indem sie historische Daten durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen nutzen. Dadurch können Landwirte künftige Bedingungen und Ergebnisse vorhersagen und reaktive landwirtschaftliche Praktiken in proaktive Managementstrategien umwandeln.
Laut einem kürzlich erschienenen Artikel im Forbes-Magazin wird erwartet, dass der Markt der KI in der Landwirtschaft von 1,7 Milliarden US-Dollar (etwa 1,5 Milliarden CHF) im Jahr 2023 auf 4,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2028 anwächst. Ein weiterer Artikel des Weltwirtschaftsforum (WEF) berichtet, dass die digitale Landwirtschaft das landwirtschaftliche BIP von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen um mehr als 450 Milliarden US-Dollar oder 28% pro Jahr steigern könnte.
Politische Unterstützung ist entscheidend
Der Übergang zu regenerativen Praktiken bietet erhebliche Vorteile, bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Es erfordert neues Wissen, neues Equipment und Zeit, damit die Bodensysteme wieder ins Gleichgewicht kommen. Unsere Branche hat die Macht von Digitalisierung und KI erkannt und nutzt diese Technologien aktiv, nicht nur um Landwirte auf dem Feld zu unterstützen, sondern auch um Innovationen bei landwirtschaftlichen Lösungen zu beschleunigen.
Damit regenerative Landwirtschaft, digitale Technologien und KI jedoch ihr volles Potenzial ausschöpfen können, brauchen wir unterstützende politische Massnahmen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.
Politische Entscheidungsträger, Unternehmen und Regierungsbehörden müssen zusammenarbeiten, um die finanziellen und technologischen Anforderungen der Landwirte zu erfüllen. Die Implementierung von Anreizprogrammen zum Ausgleich der Übergangskosten kann die finanziellen Hürden für die Einführung regenerativer Methoden erheblich verringern. Eine Aufstockung der Forschungsgelder ist auch wichtig, um Vorteile zu quantifizieren und bewährte Praktiken zu verfeinern, damit Landwirte Zugang zu den effektivsten und wissenschaftlich fundierten Techniken haben.
Die Entwicklung von Kohlenstoffmärkten, die Landwirte für Kohlenstoffbindung belohnen, könnte zusätzliche wirtschaftliche Anreize für regenerative Praktiken bieten. Der Ausbau von Bildungs- und Beratungsdiensten ist von entscheidender Bedeutung, um Wissen zu verbreiten und die Landwirte bei der Umstellung auf neue Methoden zu unterstützen.
Und schliesslich können innovationsfreundliche, regulatorische Rahmenbedingungen dazu beitragen, die Entwicklung und Einführung regenerativer Technologien und Praktiken, einschliesslich KI und anderer digitaler Instrumente, die eine nachhaltige Landwirtschaft unterstützen, zu beschleunigen. Aber politische und regulatorische Überlegungen allein reichen nicht aus. Wir brauchen alle Akteure in diesem komplexen Ökosystem, um bedeutende Anreize für die sinnvolle Einführung von Technologie und regenerativen Praktiken zu schaffen. Dazu gehören insbesondere Detailhändler, Partner in der Wertschöpfungskette und Finanzakteure wie unter anderem Anbieter von Mikrofinanzlösungen. Unsere kürzlich angekündigte Zusammenarbeit mit McDonald's USA und Lopez Foods, um die Nachhaltigkeit der Rindfleischproduktion in den USA zu verbessern, ist ein gutes Beispiel für einen solchen ganzheitlichen Ansatz.
Der Weg in die Zukunft
Da wir vor der doppelten Herausforderung stehen, uns an den Klimawandel anzupassen und eine wachsende Bevölkerung zu ernähren, ist die Kombination aus regenerativen Landwirtschaftspraktiken, KI und digitalen Technologien ein entscheidender Bestandteil unseres Toolkits für eine nachhaltige Landwirtschaft. Diese Synergie ermöglicht es den Landwirten, eine aktive Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu spielen und gleichzeitig ihre Fähigkeit zu verbessern, Nahrungsmittel effizienter und nachhaltiger zu produzieren.
Wir fördern diesen Ansatz im vollen Bewusstsein, dass er letztendlich die Nachfrage nach Pflanzenschutzprodukten verringern könnte. Unser Leitprinzip ist nicht der Verkauf von Produkten, sondern die Entwicklung von Lösungen, die den Landwirten helfen, nachhaltig gesunde Lebensmittel für die Gesellschaft zu produzieren.
Da sich diese Praktiken und Technologien weiterentwickeln, erwarten wir noch grössere Fortschritte in Bezug auf Effizienz und Nachhaltigkeit. Durch die Zusammenarbeit – Landwirte, Industrie, Regierungen und Verbraucher – können wir ein Ernährungssystem schaffen, das sowohl die Menschen als auch den Planeten für kommende Generationen ernährt. Es geht bei diesem grundlegenden Wandel darum, proaktiv eine nachhaltige Zukunft der Landwirtschaft zu gestalten.
Jeff Rowe ist CEO von Syngenta Group. Sein Beitrag wurde in Englisch auf swissinfo publiziert, herausgegeben von Virginie Mangin/Anand Chandrasekhar und ist ursprünglich für das Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums 2025 entwickelt worden.
Ähnliche Artikel

Tradition und Innovation gehen beim Essen Hand in Hand
Die Studie «Decoding Food Culture» des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt, wie tief Esskultur unser Leben prägt. Deshalb gleicht es einem Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, um Veränderungen in der Ernährung zu bewirken.

Erst die Moral, dann das Essen
Gentechnologie in der Landwirtschaft – wo bleibt Röstis Technologieoffenheit?

ESG-Berichterstattung: Ausser Spesen wenig gewesen
Die ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) sollen Unternehmen zu nachhaltigem Handeln und Transparenz führen. Die Unternehmen müssen erhebliche Ressourcen in die Erfüllung von Vorschriften und die Erstellung von Berichten investieren. Die Aufgabenlast wird dabei laufend grösser. Für viele Unternehmen sind diese Anforderungen eine enorme bürokratische Last – mit wenig oder keinem Nutzen für die effektive Nachhaltigkeit.

Die unterschätzte Gefahr pflanzlicher Toxine
Pflanzen produzieren eine Vielzahl chemischer Stoffe, um sich beispielsweise gegen Fressfeinde und Krankheiten zu schützen. Diese Substanzen können in hohen Dosen toxisch wirken. Eine aktuelle Untersuchung von Agroscope beleuchtet die Gefahr natürlicher Stoffe in Schweizer Gewässern.